Der Name des Gelehrten ist Nicht-Historikern heute eher als der eines Ziels antisemitischer Pöbeleien bekannt: Als er 1922 zum Rektor der Deutschen Universität in Prag gewählt worden war, besetzten die ‚deutscharischen‘ Studenten die Universität und riefen einen Streik gegen die ‚Verjudung‘ der Universität aus. Oberkofler deutet an, Steinherz, der sich gegen diese Angriffe öffentlich als Deutscher bekannt hat, habe die Tragweite der antisemitischen Angriffe nicht wirklich verstanden. Zuletzt ist der Gelehrte dem Judenhass zum Opfer gefallen: Er starb 1942 in Theresienstadt.
Für literarisch Interessierte macht denn auch weniger Oberkoflers (sorgfältige) Charakterisierung der wissenschaftlichen Arbeiten von Steinherz den Wert dieser Biografie aus als die Einblicke in das Universitätsmilieu, in dem ja auch viele Schriftsteller sozialisiert worden sind. Zumal die subtilen Formen des Umschreibens der Ablehnung jüdischer Kollegen – „daß die Persönlichkeit des anderen Herrn den Hörern der hiesigen Hochschule kongenialer sein dürfte als Samuel Steinherz“ (S. 55) – zeigen, wie omnipräsent Vorurteile bei den Intellektuellen des alten Österreich gewesen sind. (Immerhin hat aber ein Theodor v. Sickel Steinherz vielfach gefördert, und der bedeutende Prager Germanist August Sauer scheint stets auf Steinherz‘ Seite gestanden zu sein.) Ein Exkurs zeigt, dass diese Vorurteile zwar nicht mehr öffentlich, aber privat noch von Professoren der Zeit nach 1945 artikuliert worden sind (im konkreten Fall von einem christlichsozial geprägten Rechtshistoriker; vgl. S. 136, 137). Auch andere Ausblicke, zumal auf gesellschaftliche Verhältnisse in Prag und auf Diskussionen über die Geschichte der Deutschen und Tschechen in Böhmen, sind für jene von Wert, deren Hauptinteresse nicht die Fachgeschichte der Geschichtswissenschaft ist. Insofern haben die vielen die Lektüre an sich störenden Exkurse ihre Funktion.
Dass der Biograf dem Dargestellten menschlich wenig Sympathie entgegen bringt, nur das Kleinbürgerliche an ihm sieht, seinen Mut als Rektor vielleicht doch unterschätzt und seine Loyalität gegenüber seiner Herkunft wenig würdigt, sei kritisch angemerkt. Der polemisch-aggressive Stil, ein Merkmal aller wissenschaftsgeschichtlichen Veröffentlichungen von Oberkofler, irritiert, tut deren Qualität aber keinen Abbruch; vom „Professorengesindel im Talar“ (S. 123) sollte man freilich selbst dort nicht schreiben, wo das Urteil zutrifft, wie hier auf das Singen von nationalsozialistischen Liedern bei akademischen Feiern in Prag. Aber wegen des Inhalts, wegen der vielen zitierten und abgedruckten Quellen nimmt man diese Eigenheit des engagierten Historikers in Kauf.
Und letztlich machen Leben und Laufbahn von Steinherz ja in der Tat deutlich, dass er und seine Kollegen durch ihre bewusst ‚apolitische‘ Haltung selbst manches von dem möglich gemacht haben, was ihnen zum Verhängnis geworden ist.