Der Eindruck der gewagten Schußdichte wird dadurch noch verstärkt, daß von den ohnehin nur 21 Seiten ein guter Teil jeweils unbedruckt geblieben ist, um die nach dem dritten Knall zwar nicht mehr unerwarteten, aber doch immer wieder unvermittelten Schüsse so richtig nachhallen zu lassen. „Ein Schuß.“ lautet die formelhaft erratische Wendung, die jedwedem Szenario Wendung oder Ende mit Schrecken bereitet – dazugehörige Schützen werden von der Autorin jedoch keine gestellt.
In fein ausgearbeiteten Miniaturen entwirft Margret Kreidl den etwas anderen Panoramablick. Eher professionell ausgeleuchteten Shootings als spontanen Schnappschüssen vergleichbar führt die Autorin die paradigmatischen Standards von Trivialroman und Heimatfilm vor. Die Typenlehre des alpinen Melodrams („ein junger Grenzer“, „ein bildsauberes Dirndl, „der Gastager Franz“) findet ihre ultimative Komprimierung. Gebirgiges Inventar und touristisches Dekor werden auf altbewährte Weise zur Kulisse modellhafter menschlicher Leidenschaften und Verstrickungen, die in bemerkenswerter Reduktion sich abspulen – und abgeschaltet werden vom unabwendbaren Ende des Schusses, der anders als in den Heimatschnulzen nicht wohliges Schauern, sondern ab Schuß Nummer drei den sich von Mal zu Mal steigernden Lacheffekt der Running Gag-Pointe auslöst.
Nicht von ungefähr hat Kreidls „Ein Schuß.“ den Charakter des filmischen „Cut.“ Auch die sprachliche Gestaltung des Textes, der als Kette von Kurztexten generiert ist, hat Züge von Regieanweisungen. Dies zeigt sich vor allem im Satzbau. Die konsequente Verwendung oft elliptischer Parataxen erzeugt den bemerkenswert gelungenen Effekt radikaler Verknappung und gleichmäßiger Abfolge. Ironisiert wird durch Übernahme sprachlicher Muster aus dem Fremdenverkehrsbüro, dem Trachtenmodenprospekt, der volkstümlichen Schlagerparade.
Auch im Detail zeigt sich permanent das sprachliche Heranzoomen an die Dinge. Ausstattung und Requisiten sind so liebevoll gewählt wie beschrieben. Fauna und Flora treten auf wie im Bestimmungsbuch und werden ebenso wie Speis und Trank und nicht zuletzt die wechselnden Protagonisten der Mini-Drehbücher mit Adjektiven verwöhnt. Die sinnliche Multidimensionalität wird verstärkt durch Einsatz des bestimmten Artikels, der alles noch konkreter, noch plastischer wirken läßt. Zusätzlich unterwandern rhetorische Stilmittel die einfache Welt und die einfachen Sätze, wenn es der Autorin etwa gelingt, in ihren elliptischen Emphasen auf geringstem Raum Assonanz und Alliteration zu verstauen: „Pankraz? Schatz! Ein Schuß.“ (S. 14)
„Schnell muß es gehen!“ soll schon die programmatische, allem übergeordnete Regievorstellung Kreidls für die Aufführung eines ihrer Theatertexte gelautet haben. In ihren Schüssen, die die Geschwindigkeit schon im Titel tragen, löst sie diesen Anspruch auf selbstironische Weise ein. Im Zeitraffertempo werden sämtliche Topoi der Alpenromantik abgeklappert, dann abgeknallt. Daß es sich dabei nicht um literarischen Amoklauf handelt, sondern daß dieses Rasen System hat, ist augenfällig – und es ist Überlegungen wert, worin – inner- wie außerliterarisch – das zu Zerstörende des Kreidlschen „ceterum censeo“ bestehen könnte.