Winkler, könnte man sagen, ist ein gemachter Mann, der es beileibe nicht mehr notwendig hat, sich mit Politikern der dritten und vierten Garnitur zu balgen. Dennoch nimmt er seine gesellschaftliche und moralische Verantwortung als homme de lettres wahr und kämpft – wie gegen Windmühlen – für eine Klagenfurter Stadtbibliothek und die umfassende Aufklärung einer Sechs-Millionen-Euro-Zahlung für ein Sechs-Seiten-Steuerberater-Gutachten im Zusammenhang mit dem Verkauf einer Kärntner Bank.
Wie auch immer, Josef Winkler schreibt, kritisiert, regt sich und rüttelt auf, muss sich in der so genannten Kärntner Tagespresse aber auch einiges anhören, wobei das Meinungspendel, was eigentlich verwundert, in die Richtung des Dichters ausschlägt – als ob die Wählerinnen und Wähler mündiger geworden wären…
Nun hat sich Josef Winkler in seiner insistierenden, unnachahmlichen und von der römisch-katholischen Religionsprosa beeinflussten Belletristik auf eine Nicht-Politikerin (für ihren Bruder gilt die Verneinung nicht mehr) konzentriert, und zwar auf die kroatisch-österreichische Spitzensportlerin Mirna Jukić, wobei störend auffällt, dass in einem ansonsten schönen und handwerklich hervorragendem Band der Familiennamen unrichtig geschrieben wird – eine kleine Unachtsamkeit, die schmerzt.
Wie weiland Peter Handke über Niki Lauda schreibt nun Josef Winkler über Mirna Jukić. Von Niki Lauda ist längst bekannt, dass er über den Dichter-Text gar nicht erfreut war und sich unziemlich geärgert hat, Äußerungen der Schwimmerin über die Pseudo-Litanei Ich bin der Gast deines hervorgestossenen Fluches, Mirna Jukic sind bisher öffentlich nicht bekannt geworden.
Handke hat seinen Text, den er im Spiegel vom 11. August 1975 veröffentlicht hat, Das Öl des Weltmeisters genannt und ihn folgend begonnen: „Es ist doch auffällig, wie für immer mehr Leute der westlichen Welt die Vorstellung, ein ‚guter Autofahrer‘ zu sein, jenen Sinn des Lebens wiederherstellt, welchen ihnen die Religionen, die politischen Systeme, auch die verschiedenen mystischen Einkehr-Anweisungen immer weniger vermitteln, und wenn, dann jedenfalls nicht so dauerhaft wie versichert. Die Tatsache oder Einbildung, die Technik zu beherrschen, besorgt vielen von uns ein Gefühl der Geborgenheit, mit dem man aber dennoch, im Gegensatz zu den alten Geborgenheitssystemen, ganz alltäglich auftreten kann, weil die Erscheinungsform dieses Gefühls paradoxerweise die äußerste Sachlichkeit ist.“
Winkler beginnt feierlicher, vielleicht harmloser, und schreibt: „DU fehlst mir, sagt die Gummihaut deines schwarzen Schwimmanzuges, der dich vor einer einsamen aus weißer Kreide gebauten Kirche schützt, wenn du nicht im Blickwinkel abertausender Zähne auf dem verlorenen Sockel stehst.“ Auffallend ist, dass zwei Kärntner Schriftsteller, beide unstrittig erste Garnitur, mit einem Zeitabstand von fünfunddreißig Jahren über einen höchst erfolgreichen Wiener Sportler und eine beachtenswerte Wiener Sportlerin schreiben, Winkler wie ein poeta laureatus, Handke wie ein Reporter für die bildungsbürgerliche Mittelschicht.
Josef Winkler steigert Mirna Jukić‘ Wasserwelt ins Märchenhafte und transportiert die ‚Sehnsucht der Gummihaut‘ in surrealistischen Realitätssurrogaten.
Die Winklersche Litanei hat noch eine andere Komponente, und zwar eine stark lyrische oder poetische, wie immer man es sehen will: „DU fehlst mir, sagt die Gummihaut deines schwarzen Schwimmanzuges, wenn deine immernassen Lippen nicht einmal zur Abwechslung sich von einem trockenen Rosenblatt zermürben lassen.“
Geschickt montiert der Büchnerpreisträger S-Wörter wie Seeweg, Seidenstrumpf, Segeltuch, Seepferdchen, schiffbrüchig oder Schwimmwasser wie codierte Wasserzeichen in den flüssigen Text, der zwar schnell gelesen ist, aber viel Mit- und Nachdenken erfordert, wenn man sich auf ihn einlässt.
Die neunundzwanzig Ätzradierungen auf Kupfer, die der Kärntner Meisterklassenabsolvent Günter Egger beifügt, sind keine Ergänzung, sondern stehen selbstständig im Buch. Sie illustrieren nicht, sondern zeigen in verschiedenen Farben die Möglichkeiten der Schwimmer im Wasser. Es sind ästhetische und lebendige Bilder, die den Sport als Kunst erscheinen lassen.
Natürlich wäre es interessant, die Wirkung von „Bild und Text“ auf Mirna Jukić zu erfahren.