#Prosa

Sehnsucht nach Tamanrasset

Eugenie Kain

// Rezension von El Awadalla

„Auch Tamanrasset ist eine Perle der Provinz.“ (S. 91) Das könnte das Motto von Eugenie Kains Erzählband sein. Sechs Erzählungen aus der Provinz sind in dem schmalen Band Sehnsucht nach Tamanrasset versammelt.

Die Geschichten könnten sich überall zugetragen haben, die handelnden Personen könnten überall leben. Doch in dem schmalen Buch leben und handeln die Menschen vorwiegend in Oberösterreich, und die Provinz lebt in ihnen und folgt ihnen auch in die Stadt oder nach Nordafrika. Das wird auch deutlich an gelegentlich einfließenden Dialektausdrücken, die die ProtagonistInnen an der Gegend festnageln, und erst gar nicht den Verdacht aufkommen lassen, es könnte sich um eine exotische, also womöglich romantische Provinz handeln.

Die berührendste der sechs Erzählungen ist Schneckenkönig. Der Schneckenkönig ist ein ganz besonderes Schneckenhaus, das die Sehnsüchte der Großmutter symbolisiert. Durch ihre Erzählungen gehen sie auf den Enkel über, ebenso wie der Name: Schneckenkönig heißt er, der vermessen genug ist, Schneckenforscher werden zu wollen. Doch „der Volksschüler vermutete, daß er für diesen Beruf aus der falschen Ecke der Stadt kam. In seiner Ecke arbeiteten Menschen im Hafen, im Schlachthof, in den Kühl- und Lagerhäusern, für Speditionen oder das Versandhaus, viele davon auf Abruf“ (S. 71).

Die Sehnsüchte der an der Donau lebenden Familie sind verbunden mit dem Wasser, seinem Lauf, der in eine vielversprechende Ferne führt, die nicht hält, was sie verspricht, doch verlockend bleibt. Diese Träumereien könnten sentimental stimmen, wäre da nicht die scharf konturierte Realität, die nichts als trist ist: „Ein jeder will in eine andere Windrichtung, aber wir müssen hier zwischen Autobahn und Hafen im Kreis gehen. Das kann nicht gut gehen.“ (S. 74)

Der Träumer der Familie muß viele Grausamkeiten ertragen, was er nur kann, weil er sich unsichtbar macht: „Er lernte früh, sich schmal zu machen, unsichtbar wollte er sein. Ein Schatten glitt durchs Haus und war unterwegs in eine Nebelnacht.“ (S. 80) Am Ende – er ist zu groß geworden, um sich verstecken zu können, die Träume erweisen sich als unerfüllbar – wird er Brandstifter.

Die letzte Erzählung gibt dem Buch den Titel. Und das wohl nicht grundlos, denn die Protagonistin dieser Geschichte ist die einzige, die es schafft, ihrer Sehnsucht nachzureisen. Mann und Kind läßt sie zurück. Der Mann hat nicht bemerkt, daß die Frau sich auf eine Reise vorbereitet, nur festgestellt, daß sie die Socken nicht ordentlich zu Paaren gerollt hat. Auch ihre Bücher sind ihm aufgefallen, weil sie überall herumlagen, nicht wegen ihres Inhalts. Erst als die Frau aus Tamanrasset schreibt, fragt er sich, was in ihr vorgeht, ob er sie überhaupt kennt, ob sie wieder kommen wird.

Jede der sechs Erzählungen dreht sich um Wünsche und Träume, die – mit Ausnahme der Reise nach Nordafrika – im Leben der beschriebenen kleinen Leute unerfüllt bleiben. Doch immer gibt es Hoffnung, manchmal ist diese recht trügerisch, wie für Erna aus der Erzählung „Das Meer der Haifischzähne“: „Jetzt würde sich die Zukunft weisen. Vielleicht fiel sie wie eine Katze und kam auf allen Vieren auf und in Geierschlag suchen sie eine Kellnerin. Vielleicht fand sie ein Fernfahrer und sie war übermorgen in Hamburg. Vielleicht aber gab es für sie kein neues Leben.“ (S. 37)

Eugenie Kain Sehnsucht nach Tamanrasset
Sechs Erzählungen.
Linz, Wien: Resistenz, 1999.
94 S.; brosch.
ISBN 3-85285-023-1.

Rezension vom 03.12.1999

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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