#Lyrik

seismograph

elffriede.aufzeichnensysteme

// Rezension von Marietta Böning

ein aufzeichnen-system.

Ein Seismograph zeichnet Bodenerschütterungen auf und lokalisiert sie. Als Masse im Ruhezustand vermag er die Relativbewegungen der Erschütterungen als Längenänderungen chronometrisch zu messen. Elffriede macht sich in ihrer visuellen Poesie, Text-Zeichnungsynthesen, die Konstellationen zwischen den beiden Modulen und einem dritten, der Umwelt, als Hilfsmetapher eines Dichtungsvollzuges zunutze. Der Seismograph ist ein sensibles System, das auf andere sensible Systeme reagiert, so wie der Dichter.

 

Mit der Skepsis am klassischen Repräsentationsbegriff, die mit dem Gebrauch der Hilfsmetapher einhergeht, beginnt eine ausschweifende Reise: Neben einem Bild mit realistisch gezeichnetem Bär namens „hallo Bär“ („Bär“ handgeschrieben und durchgestrichen), sitzt ein anderer Bär, mit verzogenen Formen (Umriss eines Gummibärs), betitelt „hallo polaroid!“ Auch hier: Das Schild mit der Anzeige „Bär“ ist durchgestrichen. So ist das seismografische Prinzip als eines von Metamorphosen eingeleitet. Elffriede arbeitet mit Formveränderungen bekannter Umrisse, bis diese Strukturen andere Gegenstände ergeben. Ihre Tausch- und Verformbarkeit einmal gewittert, lässt sich inflationär mit ihnen hantieren; repräsentieren ist nichts anderes, jede Wahrnehmung ist nichts anderes. Und je feinfühliger die Bedeutungs- und Fantasieschichtungen je nach Kontext(änderung) aufgezeichnet werden, desto feiner auch der Pfad, der vom einen zum – hier erdichteten, assoziierten – anderen führt. Zart zeichnet Elffriede die Pfade von Figurengewächs zu Figurengewächs. Aus Bär wird Katze oder aus Bärformen werden Platten, hintereinander gestellt vielleicht Grabsteine, quasi Totbären-Repräsentate oder Menschenfiguren (mit Armen, die zuweilen Flügel sind – welch Engelselement an anderer Stelle im Buch) oder Bär als Menschenrepräsentat oder Totmenschenrepräsentat oder ein Uhu, „u hu“!, ein Gespenst, oder Dünen an anderer Stelle oder der metamorphotische Kitt, „ein kommen und gehen“ steht irgendwo, und wie das nächste Bild sagt, von Formen in Formen. Glaubte man, der „Zufall“ stünde für der Autorin poetisches Prinzip, wo Dada-like die Anarchie durchscheint beziehungsweise, wenn eine Form nur aufgrund von Ähnlichkeit einer anderen folgt, irrt man. Der Zufall ist motiviert, nicht zufällig; welche Linie die Sonne wirft, hängt von Standpunkt und Tageszeit ab, und dann sehen wir zufällig eine bestimmte Form. Der Kontext also, die Sonne ist z. B. ein Kontextfaktor, bestimmt die Bedeutung mit. Entsprechend geht es weiter im Text (wie als Ausweitung dessen, was Kontiguität bedeuten kann): „die hände über dem toaster“ auf einem Bärengespenst auf Matte/Gras, es streckt seine Viere in die Höhe, der Toaster aber ist nur imaginär positioniert, unsichtbar (= oder nicht da), während die Verortung des Kühlschranks geschrieben da steht: „auf heizung“.

Wird das Ordnungsystem aufs Korn genommen, so konsequent räumlich, denn so assoziieren, erinnern wir ja, in Bildern, nicht Wörtern. Die Konsequenz des „Alles geht für das Alles, aber nicht irgendwie, sondern jetzt gerade geht’s so“ ist in diesem Band so klar konturiert, dass eine minimalistische Form für alles völlig reicht. Mit wenig vermag die Autorin viel in die Imagination des Lesers zu treiben: „das / ist / das meer“ steht auf dem Blatt nach den Vieren in der Höhe. Und schon denken wir die Matte zur Luftmatratze.

Weiter wuchert der Text, stellenweise auch nur text- oder bildbezogen. Wo sich das unzufällige Zufälligkeitsprinzip als Text ohne Bild festigt, memorieren wir Konrad Bayers Poetik (nicht: Poesie), weil alles geht: Heidschnucken können sprießen, auch Algenzeugs am Wegesrand, obwohl auch nicht ganz so radikal gelöst vom Gegenstand. „Zeugs“ ist lesbar als: „sieht aus wie Algen“, „sprießen“ als: „da sind so viele Schnecken“. Die Betonung liegt nicht auf der Austauschbarkeit von alldem, sondern auf dem Abweichungskitt. Sprache, so sagt das ganze Buch aus, ist ein Uhu. „Nur was ich kitte und wie, bleibe bitte meiner Fantasie“. Bereits die Kinderspiele haben uns das gewiesen. Etwas erwachsener Elffriedes skizzierte Spielkuh (Spielpferd/Steckenbeinchen mit Tuchüberwurf), die zum Zelt auswächst, oder eine sitzende (Perser-, finde ich) Katze mit flauschigem Schwanz wie eine sich um einen Grabstein schmiegende Kuhle. Das ist fast wie in der ersten Klasse, weiß die Dichterin, wo Figuratives im Malbuch gezeichnet steht, was zu ergänzen ist mit Ringeln und Farben, sagt die Lehrerin, und „hinterher war man ganz duselig“ oder: antrainiert, Abrichtungsphase nach Wittgenstein. Er ist Elffriedes Gewährsmann. Nur, als hätte das Kind es nie richtig lernen wollen, als wäre richtig nicht wichtig. Denn warum kann so viel so wichtig sein, wenn die Zufälligkeit darunter lauert, die Ordnung Sprünge bekommt, so über die Dinge geworfen wie das Tuch?

Metamorphose erscheint so als Gegenbegriff zu Ordnung, nicht als Negation von Ordnung, oder gerade weil sie die Kraft hat, bekannte Ordnung als Möglichkeit zu indizieren (nicht durchzustreichen), erst recht als richtige Negation? Erleichternd in diesem Kontext auch, dass hier eine Autorin diese platte, wuchtige Akrostichon-Ordnung der Gesellschaftsspiele aufs Korn nimmt, die man manchmal vernimmt, und die doch einem Machtdiskurs angehört, dessen Sprachspiel manch Dichterin gern verweigert. Mitteilen per Sprache/Gedicht als Code braucht Elffriede nicht, und man ist gewillt zu sagen: natürlich nicht, denn dem Dichten ist solche Verweigerung natürlich, liefe man nicht Gefahr, damit die eigene (Anti-)Poetik anderen als solche aufzudrücken, was eine, sagen wir Untugend wäre. Kurz und bündig: Elffriede hebt solche Signifikantenordnung nur auf, um sie lapidar bloßzustellen: „c und a / sind die abkürzungen / für chique / und adrett / das sollte man wissen“. Hier steht der Uhu gegen Spiel, in dem beliebig und gewaltig Laute/Laut-determinierte Signifikanten auf Signifikate gedrückt werden, und die müssen sich dann die kontextfremden Ummäntelungen (Grabsteine) gefallen lassen.

Die schönste Metamorphose, darin auch ein sehr poetisches visuelles Gedicht, in dem auch die reine Imaginationskraft des Lesers als Anti-Zeichnung metamorphotisch genutzt (motiviert) wird, ist das Gedicht, das mit „eisblumenauge“ beginnt, im „glitzerklare(n) morgen“, wo „essen dampft / im schnee“. Ein paar schwarze Pünktchen auf weißem Blatt, die weiter nach rechts unförmig werden, sie fallen auf eine Ebene. „Unterirdisch“ ragt ein riesiges Blumenblatt empor, zwei Eidechsen sirren im verkehrten Maulwurfterritorium (der Begriff „Maulwurf“ steht irgendwo geschrieben herum), die eine äugend/schnappend/duftend nach einer der Unformen qua Insekt/Pflänzchen sehbar, die oberhalb flockt. Eine wunderschöne, sehr minimalistische und doch sehr reiche Sommer/Winter-Kombination.

Mit ihren originellen Wort/Bild-Texturen regt Elffriede die Denk- und Fantasietätigkeit des Lesers an und dies wohl auf noch nicht da gewesene Weise. Elffriedes seltsam-wundersame Synthesen sind das Erfrischendste, das ich in den letzten Jahren als Dichtung gelesen habe.

elffriede.aufzeichnensysteme seismograph
Text- und Bildband.
Wien: edition ch, 2007.
108 S.; brosch.; m. Abb.
ISBN 978-3-901015-36-6.

Rezension vom 08.10.2007

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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