#Roman
#Debüt

Selbe Stadt, anderer Planet

Dominika Meindl

// Rezension von Marianne Jungmaier

Im Themenpark des Lebens

„Ihr müsst raus, ich bleib liegen“, singt die österreichische Band Kreisky in ihrem Lied Selbe Stadt, anderer Planet. „Ihr müsst raus, ich dreh mich nochmal um und ich schlafe bis um zwölf.“ Nicht nur titel-, sondern auch tonangebend ist dieses Lied für den Debütroman der Oberösterreicherin Dominika Meindl: das Thema des Müßiggangs oder vielmehr, eines Abgesangs auf die Tagedieberei.

Die Nostalgie der Protagonist:innen über eine andere, vielleicht bessere Vergangenheit schwebt zwischen den Zeilen. Das Ankommen im Hamsterrad, in der Verantwortung, im Ernst des Lebens, der am Ende das Ende selbst ist, nämlich der Tod, wird nicht ausgespart, sondern ist eine Notwendigkeit. Dabei ist dieser Roman nicht schwer-, sondern leichtfüßig, er ähnelt darin den Gämsen, die man im Gebirge, in dem die Schwestern Johanna und Doris bergsteigen, spüren kann.

Selbe Stadt, anderer Planet ist nicht nur eine Erzählung über eine Rückkehr in das sprichwörtliche Dorf der Kindheit – hier Hallstatt, das Epizentrum des oberösterreichischen Tourismus –, sondern auch eine Geschichte über das Zurechtfinden in alten Strukturen, in einer kleinen Welt, mit all ihren Bräuchen, Ritualen und Anforderungen, nachdem man eine größere bewohnt hat.
In Meindls Roman kehrt Johanna aus Wien zurück in die Provinz, um die Ordination des Arztvaters und zugleich das Elternhaus zu übernehmen. Sie trifft in Hallstatt auf ihre Schwester Doris, die mit ihrem Polizisten/Bergretter-Partner nebenan wohnt und eine Tischlerei betreibt.

Auch im Tempo ähnelt der Roman dem Kreisky-Lied, an dem er sich Anleihe nimmt: Man reist vom Salzkammergut nach China, von einem österreichischen See in ein chinesisches Ressort, nimmt dabei Flugzeuge, alte Volvos oder auch die Bergschuhe zur Hand.

Meindl erzählt lebhaft und schnell, unterteilt ihre Geschichte in Kapitel, die jeweils aus unterschiedlichen Perspektiven erzählt sind. Viele Berufe, viele Figuren, die sich langsam, mit den Seiten, erschließen. Man folgt ihnen gerne durch eine inhaltlich dichte Erzählung über (Massen-)Tourismus und seine Auswirkungen, den Alltag einer Landärztin mit kleiner Praxis und jenem eines selbstständigen Kreativen, sieht die Schwierigkeiten, mit denen eine Frau in einem traditionell männlich gelesenen Beruf konfrontiert ist, liest über die Alltäglichkeit von Leiden und Sterben und die kleinen Begehrlichkeiten der Menschen. In den Figuren spürt man auch Meindls feministischen Hintergrund: So ist in diesem Roman Mutterschaft eine Möglichkeit, keine Bedingung, der slowenisch-stämmige Nachbar Andrej mit seinen zwei kleinen Töchtern ein empathischer Vater, der Ich-Erzähler chinesischer Herkunft, Huáng Ren, das Abbild eines dysfunktionalen (männlichen) Soldaten. Zu diesem Ich-Erzähler, der zwischen Erinnerungen an seine Kindheit in Österreichs landläufigen China-Restaurants und chinesischer Hochleistungsgesellschaft mäandert, und damit von chinesischer Arbeitsmoral und Konsum erzählt, bleibt eine gewisse Distanz.

Meindl verwendet Träume als Elemente und Einstiege in die Kapitel, oft sind es Alpträume, die sich nicht immer sofort als solche – und auch nicht das Innenleben der Figur – erschließen, aber zur Farbigkeit des Textes passen.
Beim Lesen eröffnen sich auch jene Settings, die Meindl selbst gut kennen dürfte, wie man aus den Medien weiß: Die Autorin ist als Journalistin, Sprecherin und Moderatorin eine öffentliche Person, im Wohngespräch mit der Tageszeitung Der Standard erzählt sie, dass sie wie ihre Protagonistin Johanna das elterliche Haus übernommen hat, man sieht an Fotos, dass sie eine versierte Bergsteigerin ist. Als selbsternannte ‚Präsidentin von Österreich‘ kennt man Dominika Meindl auch über ihre komödiantische Seite, die sich in ihrer Sprache spiegelt.

Meindl verwendet bei ihren österreichischen Figuren eine stark dialektale Sprache, die sich in Begriffen zeigt, die man nur als Landsfrau oder -mann kennen kann: eine Kreissäge, die Gas „annimmt“ (S. 39), eine „triefäugige Katze“ (S. 44), das Geschehene, das einer Figur „nachgeht“ (S. 85), oder eine Figur, die von einer eingebildeten Verliebtheit sich „erfangen“ muss (S. 91), um nur einige zu nennen.
Das Vokabular des Romans ist lokal und humorvoll, was eine charmante Wirkung hat, Worte wie „Hausbrandgeruch“ (S. 20), „Teletext“ (S. 23) oder der „modische“ Mädchenname (ebd.) vermitteln Nostalgie. Manchmal kippt dieser Humor in Floskeln, was jedoch zum Duktus des Textes passt.
Dominika Meindl verwendet häufig Fachbegriffe, wie etwa das Vokabular des Bergsteigens, das sich nicht immer erschließt, ebenso chinesische oder slowenische Worte, die im Roman nicht übersetzt werden. Darüber lässt sich allerdings gut hinweglesen, denn die Nationalitäten und Sprachen sind nachvollziehbar und verleihen Geschichte und Figuren Authentizität.

Ab und zu lässt Meindl den Text und die Leser:innen in winzigen Fenstern atmen, und man erhascht einen anderen Blick auf diese Welt: einen sanfteren, stilleren, der wohltut und in die Poesie reicht. Etwa, wenn die Einheimische über einen Platz geht und mit dem Rücken zum See sitzend, „erloschen vor sich hinschaut“ (S. 52). Die Klammer oder Auflösung am Ende, die hier nicht vorweggenommen werden soll, wäre nicht notwendig – der Text trägt sich selbst so gut wie die Schwestern ihre Zelte den Berg hinauf.

Dominika Meindl hat einen leichtfüßigen, dichten und schnellen Roman geschrieben, der mit einem Augenzwinkern über zutiefst Österreichisches erzählt und dabei die große Welt nicht außen vor lässt.

 

Marianne Jungmaier, geb. 1985, studierte Digitales Fernsehen, Medien- und Kulturwissenschaften (B.A.) und Journalismus (M.A.). Fortbildungen in Sprechtechnik und Schreibpädagogik. Sie veröffentlichte bislang zwei Romane sowie drei Lyrik- und zwei Erzählbände. Sie wurde mehrfach ausgezeichnet – u. a. mit dem George-Saiko-Preis für ihren Debütroman Das Tortenprotokoll (Kremayr & Scheriau, 2015). Sie arbeitet auch mit anderen Medien wie Film und Fotografie, und unterrichtet kreatives Schreiben. Homepage von Marianne Jungmaier

Dominika Meindl Selbe Stadt, anderer Planet
Roman.
Wien: Picus, 2024.
208 Seiten, Hardcover.
ISBN 978-3-7117-2144-0.

Verlagsseite mit Informationen zu Buch und Autorin

Homepage von Dominika Meindl

Rezension vom 11.04.2024

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

Informiert
bleiben

Sie können 3 Newsletter abonnieren:

  • Literaturhaus Wien News
  • Literaturhaus Wien Veranstaltungsprogramm
  • Österreichische Exilbibliothek News

Bitte schicken Sie uns eine entsprechende Nachricht mit dem Betreff „Newsletter bestellen“. Für Abbestellungen bitte im Betreff „Newsletter abbestellen“ schreiben.