#Roman

Silentium!

Wolf Haas

// Rezension von Petra Nachbaur

Bei einer verdächtig unverdächtigen Runde, unter geistlichen Brüdern, mit harmlosem Imbiß – „Familienpackung Erdnüsse, Familienpackung Kartoffelchips, Familienpackung Soletti, Familienpackung Salzgebäck, Familienpackung Goldfischli, Familienpackung Tuc-Salzkekse“ (S. 11) – wird der Brenner eingeweiht in seinen neuen Auftrag. Der „Exbulle“ und nunmehrige Privatdetektiv aus Puntigam, der sich mittlerweile in ganz Österreich aufklärerisch bewährt hat, soll Gerüchten nachschnüffeln, die besagen, der aktuelle Bischofskandidat, hervorgegangen aus dem Salzburger Marianum, habe sich in vergangener Zeit an einem seiner Zöglinge „vergangen“.

Dieser Vorwurf wäre nun ja schon brisant genug, doch wenige Tage später, als Brenners Ganglien erst so langsam in Fahrt kommen, steckt schon das erste Leichenteil im Tischfußballtisch des Knabeninternats. Brenner ahnt, im Heiligenschein des Marianums tun sich noch ganz andere Hinter- und Abgründe auf, doch in welche Richtung dieser Fall sich schlußendlich noch weiterentwickeln wird, überrascht ihn selbst und auch den Leser.

Wolf Haas ist es gelungen, den Brenner zum fixen Bestandteil der Welt des literarischen Verbrechens und dessen Aufklärung werden zu lassen, weder der spezifisch österreichische Ermittler noch sein spezifisch österreichischer Erzähler sind mehr wegzudenken aus der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur. Mittlerweile ist manches an ihm fast schon klassisch, und auch die Struktur des Romans, quasifixe Elemente oder selbstironische Anleihen an die Vorgängertitel, geht wieder auf.

Haas geizt nicht mit sprachspielerischen Elementen. Ein gewisser „Dr. Phil. Guth“ etwa legt Wert auf seinen ganzen Titel, um sich vom medizinischen Primars-Vater abzugrenzen. „Zufällig“ jedoch klingen in diesem „Phil.“ auch schon die jungfräulichen „Philippininnen“ mit, die eine wesentliche Rolle im kriminellen Geflecht um Salzburgs Adel und Klerus zugeteilt bekommen haben. „Dr. Phil. Guth“ klingt zudem noch fast so groovy wie „Dr. Feelgood“, und eine Melodie, die dem Brenner unbewußt schon die Lösung des Falls durch den dazugehörigen Text suggeriert, spielt eine ähnliche Rolle wie schon im Wiener Fall „Komm süßer Tod„. Auch die James Bond parodierende Schlußliebesszene wird spätestens im nächsten Band Kultcharakter haben.

Der vertraute Erzähler („mehr für das Normale und gegen das Abnormale“ S. 111) mit seinen eingängigen Theorien über die Welt („Da kriegst du so ein Gefühl da hinten im Genick, Mittelalter, mein lieber Schwan, das kann man sich noch richtig vorstellen, die engen Gassen, die kleinen Fenster, die Pflastersteine, also schon eine gewisse geschichtliche dings.“ S. 87) und über die Menschen bietet einen soliden Kontrast zu den grotesk-makabren Elementen, die sich in diesem Band noch greller als in seinen Vorgängern häufen: Ein Mann wird kurz nach Liebesakt und Zeugung eines Sohnes auf der verwaisten Festspielbühne von einem herabfallenden Selbstmörder erschlagen (dem er dadurch das Leben rettet), „Petting 69“ als Eintrag auf einer Karteikarte stellt sich als schlichte Wohnadresse heraus, von der abgetrennten Hand im Tischfußballtisch war schon die Rede. Allerdings nicht davon, daß der kleine Finder sie im Schock herausnimmt und, schüttelnd quasi, unter mehrmaligem „Grüß Gott“ direkt in die Sonntagsmesse hineinträgt.

Wer das nächste Mal knabbernd, aber unbefriedigt vor dem Fernseher sitzt, sollte vielleicht besser einmal zur Marke Haas greifen – und seine fünfbändige „Familienpackung vernichten, quasi Amoklauf“ (S. 11).

Wolf Haas Silentium!
Kriminalroman.
Berlin: Rowohlt, 1999.
224 S.; brosch.
ISBN 3-499-43346-X.

Rezension vom 16.08.1999

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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