#Anthologie

Sprachkurs

Petra Nachbaur, Sigurd Paul Scheichl (Hg.)

// Rezension von Helmut Sturm

Beispiele neuerer österreichischer Wortartistik 1978 – 2000.

„die bewohner erwachen / wenn aufgespielt wird / gratisachteln herumstehen / wenn einer birnt wird / ein gedicht / das sind gelungene palatschinken / literatur / muß für sie essbar sein“, meint resigniert Elfriede Gerstl.

Petra Nachbaur, Literatin und wissenschaftliche Mitarbeiterin am Brenner-Archiv, und Sigurd Paul Scheichl, Literaturwissenschafter an der Universität Innsbruck, wollen mit ihrer annalistisch angeordneten (1978 – 2000) Anthologie „Sprachkurs“ bilden. Es sollen Menschen, die mit dem Literaturbetrieb nicht so vertraut sind, mit Texten bekanntgemacht werden, die in den Bestenlisten nicht vertreten sind und sich in eine Kategorie einordnen lassen, die im Vorwort wahlweise „sprachbewußte Dichtung“, „sprachreflektierende Literatur“, „sprachartistische Literatur“ oder „sprachbezogene Literatur“ genannt wird. Abgesehen davon, dass es schwer fällt, sich andersgeartete Literatur vorzustellen, ist das ein höchst sympathisches und auch dringliches Vorhaben. Viel zu oft bleibt hochwertige Literatur ungelesen, weil sie in Kleinverlagen ohne Werbebudget oder in nur wenig verbreiteten Literaturzeitschriften erscheint.

Es ist zu befürchten, dass auch Perlen, die sich in der Netzliteratur fangen, unentdeckt bleiben. In der vorliegenden Sammlung ist nur die 1964 geborene Barbara Hundegger mit Beiträgen vertreten, die zuerst im Internet publiziert wurden. Es handelt sich dabei, was die Möglichkeiten des Gastmediums Computer betrifft, um noch wenig entwickelte, eher konventionelle Beiträge. Die wesentlich artifizielleren Netzarbeiten von Franz Josef Czernin und Ferdinand Schmatz bleiben unberücksichtigt, im übrigen sind sie mit zusammen fünfzehn Gedichten gut repräsentiert. Überhaupt scheint vor allem Sigurd Paul Scheichl an den theoretischen Äußerungen von Czernin und Schmatz besonderen Gefallen zu finden.

Wer ist nicht vertreten? Erich Fried, denn es soll gezeigt werden, dass es eine österreichische Poesie ohne ihn gibt. Gott sei gedankt. H.C. Artmann, da seine bekanntesten Werke bereits vor 1978 erschienen sind. Dasselbe Schicksal widerfährt Ernst Jandl. Hoffentlich sind nicht deshalb die zwei „großen Sprachlehrer“, wie im Nachwort angemerkt, „in der Zeit der Zusammenstellung dieser Anthologie … gestorben“. So hat man/frau zuerst unter „den kindern der wiener gruppe“ gewählt und gleich auch zehn Stücke ihres Erfinders, Gerhard Rühm, aufgenommen. (Er konnte sich also nach 1978 noch steigern.)

Dennoch: das Buch erfüllt Elfriede Gerstls Forderung „für die sprache eine gasse“; es deutet an, dass Heidi Pataki Recht haben könnte mit ihrer Behauptung „die außerirdischen, es sind die innerseelischen“ und es soll allein wegen der zwei Verse Franzobels „Stehen Bretter mir als Wörter vor dem Kopf, / windet Mühe das Packen (aus Moor) am eigenen Schopf.“ gekauft werden. Besonders angetan hat es mir allerdings der Wunsch Liesl Ujvarys „umgib auf wegen würdig mir geborgenheit und rosen“.

Petra Nachbaur, Sigurd Paul Scheichl (Hg.) Sprachkurs
Anthologie.
Innsbruck: Haymon, 2001.
248 S.; geb.
ISBN 3-85218-364-2.

Rezension vom 15.12.2001

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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