#Lyrik

sternderln schaun

Stephan Eibel

// Rezension von Christa Nebenführ

„es wär halt schön
ein wort zu finden

kann auch ein satz sein
oder ein buchstabe“ (S. 52)

Ein einzelner gefundener Buchstabe wäre schön, schreibt der Lyriker, Romancier und Dramatiker Stephan Eibel in einem Gedicht seines Lyrik-Bandes sternderln schaun. Ein Buchstabe. Aber kein beliebiger, sondern einer, den der Dichter findet. Nicht zufällig wie es scheint, sondern aufmerksam gesucht.

Dies mag als Hinweis auf die Ästhetik der Verknappung dienen, die Stephan Eibels Gedichte nicht nur im vorliegenden Band bestimmt. Opulenz und Pathos werden streng gemieden, oder, um es mit H. C. Artmann auszudrücken „nua ka schmoez ned“. Dabei verwirft diese Reduktion keineswegs Empfindungen, seien diese nun Empörung, Trauer, oder auch Glück. Eine Erinnerung an Almdudler und Würstel mit scharfem Senf schließt mit der Zeile:

 „ich war sieben und glücklich“ (S. 17)

Als Stephan Eibel mit achtzehn Jahren aus Eisenerz in die Bundeshauptstadt zog, konnte er Kontakte zur damaligen literarischen Avantgarde knüpfen. Besonders Ernst Jandl wurde ihm zum Freund und Mentor und erfährt – nicht nur – in diesem Band eine assoziative Hommage. In jenem Abschnitt, in dem der Dichter keine Sternderln sehen kann, weil „unterm bedeckten Himmel“ […] „geschossen, erschossen, gequält, erdrosselt, abgestochen“ [wird] (S. 67), stellt er auch fest:

„wörtern die vom
krieg kommen
fehlen die selbstlaute“ (S. 68)

womit Ernst Jandls Sprechgedicht schtzngrmm paraphrasiert wird. Neben der Verwendung von Hochsprache, Dialektform und Sprachkunst – wie einem lapidar versteckten Anagramm im Kurzgedicht

„olle san in ihrn hirn alan“ (S. 49)

verbindet Stephan Eibel und Ernst Jandl die Kunst der Performance. Das wurde bei der Präsentation des hier besprochenen Gedichtbandes sternderln schaun am 19. März 2024 im Literaturhaus Wien hinlänglich bewiesen. Eibel erzählt, mäandert, schweigt. Schweigt beredt, als er wieder ein Gedicht vorträgt:

„vati

als er auf der bettbank lag
mich anschaute, sein blick
sich verfinsterte

 wusste ich: öha
er erkennt mich nicht
e
r hat mich vergessen

Pause, gehalten, dann, mit freundlicher Gelassenheit:

was für ein glück“ (S. 56)

Zu zwei Gedichten über „vati“ gesellen sich in diesem Band sieben, Träume und Verlustschmerz heraufbeschwörende Anrufungen von „mutti“. Die Kurzform individualisiert die tradierte Muttersymbolik, bricht sie herunter auf Würstel mit scharfem Senf, den roten Blechtopf mit gezuckertem Schlagobers und das Datum des endgültigen Abschieds, der allerdings nicht nur mutti betrifft. Eines der vier Gedichte des Bandes sternderln schaun, die vom Musiker und Komponisten Martin Kratochwil vertont und an dem Abend von der Diseuse Lucy McEvil vorgetragen wurden, macht trotz aller Träume Schluss mit Träumereien.

„egal in welchem land
egal zu welcher tageszeit
am friedhof ist schluss
mit der unsterblichkeit“ (S. 50)

Obwohl Stephan Eibels Lyrik kongenial performed werden kann und wird, ist ihre Materialität eher visuell ausgerichtet als phonetisch. Das beginnt mit den Sternchen, die fünf Mal buchstabenbefreit auf je einer Seite mit teilweise unterschiedlichen (in Buchstaben ausgeschriebenen) Titeln unterschiedlich angeordnet sind, und geht über die Jahresstruktur verschiedener Lebensläufe mittels Rufzeichen oder eines in kompakten Blöcken dargestellten binären Codes aus „ja“ und „nein“ bis zu einem farblosen Gedicht unter Anführungszeichen. Das gebe den Leser:innen die Freiheit, sich das Gedicht selbst zu schreiben, erklärt Stephan Eibel. Und die sternderln können Verschiedenes bedeuten: Binnensternchen einer gendergerechten Schreibweise aber auch Trost, den er selbst nach seinem ersten Herzinfarkt durch die von seiner Tochter Hannah für ihn gezeichneten Sternderln erfahren hat und den er seinem Freund und Kollegen Franz Schuh während dessen schwerer Erkrankung in der Zeit der Pandemie widmete. „Sternderln kann man immer schaun“ so Stephan Eibel.

Damit nicht der Eindruck von Idylle aufkommt, darf aber auf die Kampfgedichte nicht vergessen werden, die sich explizit an oder gegen politische Parteien in Österreich und spezifische Dimensionen seiner Heimat richten, wie beispielsweise „aufsteirern“. Die, mit diesem – markenrechtlich geschützten – Kunstwort bezeichnete, größte volkskulturelle Veranstaltung Österreichs findet seit 2002 immer am ersten Wochenende nach Schulbeginn im September in Graz statt. In Christoph Winders Kolumne Wörterbuch zur Gegenwart in der der Tageszeitung Der Standard hieß es 2009: „Im Aufsteirern schwingt, wie im Aufpimpen, Aufplustern oder Aufbrezeln, ein Stolz-sich-in-die-Brust-Werfen mit, eine unbändige Lust, sich in die Landestracht zu schmeißen und sich so der Welt in vollem Glanze zu präsentieren.“ Bei Stephan Eibel liest man:

„das aufsteirern
in tracht mit bierkrug
in graz, der landeshauptstadt

findet in den
köpfen der aufsteirer
sekündlich statt

auch dann
wenn sie dich spät
vor der theke fest drücken“ (S. 10)

Stephan Eibel positionierte sich seit dem Beginn seiner Publikationstätigkeit politisch, etwa 1976 mit der Autorensendereihe Literatur im Untergrund r den niederösterreichischen Rundfunk. 1992 sorgte seine Tagespoetische Aktion Problem Numero 6, die Transkription eines Telefongespräches mit einem verantwortlichen Sendeleiter des ORF, für einen Skandal. Darin diskutiert er darüber, bei der Verlesung seiner Biographie einen Zusatz anzufügen, der unter anderem auf die ehemalige NSDAP-Mitgliedschaft des damaligen ORF-Generalintendanten Bezug nimmt.

Heute ist das politische Engagement des mittlerweile über 70jährigen weniger angriffslustig denn behutsam, ähnlich seinen Betrachtungen von Vergänglichkeit, Liebe und Verbundenheit. Im Wiener Literaturhaus erzählte er von Kindheitserinnerungen an den damals so genannten „Türkenfriedhof“ gegenüber von Schloss Leopoldstein bei Eisenerz. Nachdem er bemerkt hatte, dass die dortigen Gräber statt türkischer Namen überhaupt keine Namen auswiesen, fand er heraus, dass es sich um die namenlosen Gräber der über 200 Männer und Frauen handelt, die am 7. April 1945 bei einer Aktion des Volkssturms am Präbichl in Eisenerz erschossen wurden. Ein Mahnmal, 1948 bei der Seestraße 7 in Eisenerz von jüdischen Flüchtlingen errichtet, die auf ihre Auswanderung nach Palästina warteten, trägt die Inschrift: ZUM GEDÄCHTNIS AN DIE JÜD. KZ. HÄFTLINGE WELCHE IM APRIL 1945 BEI EISENERZ IHR LEBEN VERLOREN

Die Begegnung mit dem Historiker Heimo Halbrainer, der Stephan Eibel davon in Kenntnis setzte, dass die meisten Namen der dort Begrabenen inzwischen belegt werden konnten, bewegte den Dichter dazu, von der Gemeinde die Auslobung eines Wissenschaftsprojekts zu fordern, um alle Namen auszuforschen und eine Namewall zu errichten. Bislang vergeblich. Trotzdem schloss Stephan Eibel die Erwähnung seines Engagements mit den zuversichtlichen Worten: „Irgendwann werden die Namen dort stehen.“

 

Christa Nebenführ ist Autorin, Kritikerin, Herausgeberin, Literaturvermittlerin, Radiojournalistin und Schauspielerin. Veröffentlichungen in Anthologien, im Feuilleton, im Hörfunk und Einzelpublikationen von Romanen, Lyrik und einem Wissenschaftsbuch. Zuletzt erschien der Roman Den König spielen die anderen (Klever-Verlag 2023).

Stephan Eibel Erzberg sternderln schaun
Gedichte.
Limbus Verlag 2024.
96 Seiten, Gebunden mit Lesebändchen.
ISBN 978-3-99039-248-5.

Verlagsseite mit Informationen zu Buch und Autor

Den Audiomitschnitt der in dieser Rezension erwähnten Präsentation von sternderln schaun am 19. märz 2024 im Literaturhaus Wien können Interessierte im Tonarchiv im Literaturhaus Wien nachhören.

 

 

Rezension vom 21.05.2024

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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