#Lyrik

Super Songs Delight

Regina Hilber

// Rezension von Astrid Nischkauer

dann sing das Brückenlied
song of a city
Hart Crane und Brooklyn Bridge
just dip and raise me up hinter
fünf Lagen
verdichtet
Stahl Stahle Knochenfische
auf Gerüsten
Klappe zu Klappe auf
tauch unter zieh mich
hoch
höher

Die Gedichte von Regina Hilber geben sich modern urban, verwenden Wortmaterial unserer schnelllebigen Alltagssprache, in die viel Englisch verwoben ist und in die auch all das fließt, was man so nebenbei konsumiert, wie Werbung, Medien, Serien, und insbesondere Liedtexte, lautet doch der Titel des Gedichtbandes sehr treffend „Super Songs Delight“. Musikalität ist per se ein wichtiger Bestandteil von Lyrik. Diese kann sich je nach gewählter Form unterschiedlich ausdrücken und mal mehr, mal weniger in den Vordergrund treten. Bei Regina Hilber spielt Musikalität eine besonders wichtige Rolle, schreibt sie doch genau genommen „Super Songs Delight“, ohne die Ergänzung „Gedichte“ im Untertitel. Konkret arbeitet sie viel mit Rhythmus und Klang („Verbreitete vielversprechende/ Floskeln im Vorbeiflanieren. Fingerdicke/ Vielsagerei.“), wobei englischen Einwürfen und Alliterationen eine besonders wichtige Rolle zukommt.

sing superleise detailverliebt
wie die Dichte
verschnürt versperrt verzerrt
sing das Brückenlied
by heart & Hart
inwendig auswendig nie

Mit ihrem mitunter frech-flapsig-flotten Stil, dem eingeworfenen Englischen und der Musikalität erinnern mich die Gedichte Regina Hilbers an jene von Augusta Laar, die ich ebenfalls sehr schätze. Eine weitere Gemeinsamkeit bei aller Unterschiedlichkeit wäre die ausgewiesene Intertextualität, da beide in ihren Gedichtbänden auf Kolleg:innen verweisen. Bei Regina Hilber geschieht das immer am Beginn eines Kapitels, sie bezieht sich vorwiegend auf bereits verstorbene Dichter- und Künstler:innen, die da wären: Rolf Bossert, Hart Crane, Gertrude Stein & Alice B. Toklas, Elsa von Freytag-Loringhoven. Der Abschnitt „CzernowitzSONG“ ist dann jüdischen Autor:innen aus der Bukowina gewidmet und spätestens hier, wenn nicht schon ganz am Beginn bei den Gedichten, die den Selbstmord von Hart Crane streifen, sollte einem auffallen, dass die Gedichte Regina Hilbers wesentlich ernster und tiefgründiger sind, als sie unter der vorgehaltenen Maske grellbunter Fröhlichkeit vorgeben zu sein:

Bukolische Dichtung. In Erinnerung an Lore Perls, Sidi Tal, Rose Ausländer, Itzig Manger, Eliezer Steinbarg, Klara Blum, Paul Celan, Selma Meerbaum, Friedrich Kiesler, Karl Emil Franzos, Liane Schindler und Immanuel Weissglas.

Intertextualität lässt sich jedoch nicht nur anhand erwähnter Namen festmachen, sondern auch innerhalb der Texte aufspüren, so beispielsweise bei den Zeilen „ick liebe dir“, die bis auf einen Buchstaben und das fehlende Rufzeichen mit den letzten drei Worten des Gedichts „An Anna Blume“ von Kurt Schwitters ident sind („Anna Blume, du tropfes Tier, ich liebe dir!“), so als läse man das Gedicht mit Berliner Zungenschlag. Die drei Worte kehren an verschiedenen Stellen wieder, so wie Regina Hilber überhaupt gerne einzelne Motive oder Satzfragmente immer wieder neu aufgreift, ist doch die Wiederholung in der Musik ganz wesentlich. Durch das mehrmalige aufgreifen einzelner Motive und Satzfragmente an unterschiedlicher Stelle werden die einzelnen Gedichte einerseits wie mit einem Faden enger miteinander verbunden. Andererseits emanzipiert sich das Wiederholte in der Wiederholung von dem jeweiligen Gedicht, da es eben nicht nur in diesem einen, sondern ebenso gut auch in einem anderen stehen kann. Interessant auch, wer hier die betreffenden drei Worte spricht bzw. malt, ist es doch kein Mensch, sondern die Bora, der berüchtigte orkanartige Wind an der Adriaküste, der bei Regina Hilber zum Gegenüber, beinahe zu einer eigenen Figur wird.

°°°
& die Bora rüttelt an Fenstern und
Simsen malt der Einschlafschneise
drei Töne herbei:

ick liebe dir
ick liebe dir
Duft von Pinien am Morgen

Im ersten hier zitierten Gedicht hatten wir die Brooklyn Bridge (NY), mit der Bora sind wir in Triest, dazwischen hatte ich bereits das jüdischen Dichter:innen aus der Bukowina gewidmete Kapitel erwähnt, in einem anderen geht’s nach Steyr (Oberösterreich) und Kalifornien darf natürlich auch nicht fehlen:

California, Baby
ist ein Lichtmorgen
Hipstersong der deutschen
Stadtnomaden: […]

Damit legen die Gedichte eine gewisse Ruhelosigkeit an den Tag, eilen über den Globus, als könnten sie nicht stillsitzen, als versuchten sie, einer tiefen Verzweiflung zu entfliehen, die sie nur halbherzig unter oberflächlicher Fröhlichkeit zu verbergen suchen. Und tatsächlich ist dem so, wie man dem Klappentext entnehmen kann:

Der Gedichtband SUPER SONGS DELIGHT ist ein lyrischer Roadtrip, ein wahnwitziges Sprachmanöver, das zu Zeiten von Lockdowns und Pandemierestriktionen in vorgetäuschter Munterkeit das Weite sucht: Frei ist die Poesie. Sie schafft neue Räume und Umkehrschlüsse, wo für lange Monate Stillstand verordnet war.

Hellhörig geworden findet man sehr wohl Spuren der ersten Zeit der Pandemie in den Gedichten. Auch hier entsteht leicht der Eindruck, als versuchte die vorgebliche Fröhlichkeit die tatsächliche Verzweiflung zu übertünchen.

— Masken stellen die Ordnung wieder
her — STOP — Erdbeermilchshake hilft
(Rezept aus Kalifornien): — HALF STOP
— get the strawberries unplugged — STOP
— add 2 spoons peanut butter — STOP —
shake well — STOP — joyride and explode!
— STOP –

Bei der angesprochenen Elsa, an welche dieses Telegramm mit hilfreichen Tipps zur besseren Bewältigung des Alltagslebens in Zeiten von Lockdowns gerichtet ist, als wäre sie eine gute Freundin, handelt es sich tatsächlich um die Dada-Baroness Elsa von Freytag-Loringhoven (1874-1927). Auch hierin zeigt sich, dass Regina Hilbers Texte doppelbödiger und vielschichtiger sind, als man auf den ersten Blick meinen würde.

Die Zeiten der großen allgemeinen Isolation und Einsamkeit während diverser Lockdowns subsumiert Regina Hilber sehr prägnant im Bild der Insel:

°°°Inselinsel

would you like to come over
auf meiner Insel ist Platz

Mit der literarischen Verarbeitung aktueller Geschehnisse, wie der Pandemie, sind die Gedichte sehr knapp am Hier und Heute, zeichnen sich zugleich aber auch durch ein sehr großes Geschichtsbewusstsein aus. Vergangenheit und Gegenwart kondensieren bei Regina Hilber zu fließenden Gedichten, die in ständiger Bewegung begriffen, oft verspielt und bei alledem aber ungemein präzise sind.

Schließen möchte ich mit einem Gedicht aus dem Abschnitt „CzernowitzSONG“, in dem es um Paul Celan geht, um damit nochmals auf die Ernsthaftigkeit der Gedichte bei aller sprachlichen Leichtfüßigkeit hinzuweisen.

°°°°°
ein junger Mann zieht den schweren
Vorhang beiseite einer der aussieht wie
Paul sich aber noch Antschel nennt
schön ausleuchten befehle ich dem
Traumbelichter so ein Treffer mitten
im schwarzen Kern

spurlos verschwunden bedeutet bewusst
verschleppt aber auch eine Ahnung lässt
die Suche nicht enden nichts zu kaschieren
sagt der Regisseur:

Pfeil ohne Bogen

__________

Regina Hilber Super Songs Delight
Gedichte.
Mit einem Nachwort von Konstantin Kaiser.
Wien: fabrik.transit, 2022.
114 S.; geb.
ISBN 978-3-903267-32-9.

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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