#Roman

Tanz der Teufel

Fiston Mwanza Mujila

// Rezension von Thomas Antonic

Fiston Mwanza Mujilas zweiter Roman Tanz der Teufel beschreibt das Schicksal mehrerer junger Männer aus Lubumbashi im Süden Zaires in den 1980er und 90er Jahren und ihren Kampf ums Überleben in einer Welt, die von Gier nach ökonomischem und sozialem Kapital dominiert wird.

Es geht unter anderem um Sanza, der unter die Fittiche von Molakisis Familie genommen und von Molakisi beschützt wird, bis dieser nach Angola geht, um in den Diamantengebieten von Lunda Norte das große Geld zu machen. Dort kommt er in einer Gruppe von Diamantenschürfern unter, die von Tschiamuena, auch „Madonna“ genannt, angeführt wird. Und hier trifft er auch auf Franz, einen österreichischen Abenteurer, der einen Roman über „Afrika“ schreiben will, weil er sich zu Hause in St. Pölten in die Tochter eines Katanga-Gendarmen verliebt hat. Sanza indes wird in Lubumbashi zum Klebstoff schnüffelnden Straßenjungen und fasst in der Bande des Ganoven Ngungi Fuß, bis er vom hochrangigen Geheimdienstler Monsieur Guillaume aufgegabelt wird.

Er soll eine Gruppe von Intellektuellen bespitzeln und zu rebellischen Akten verleiten, damit Guillaume sie auf frischer Tat verhaften, foltern und schließlich erschießen lassen kann. Wie überall auf der Welt ist auch der Geheimdienst des Regimes Mobutus von Korruption und Machtgier durchsetzt – ein kaputtes System, für das Guillaume als pars pro toto steht. Sanza wird allerdings immer mehr von seinem Gewissen geplagt, bis er die Opfer einweiht, die in der Folge tatsächlich zu Verschwörern werden, Guillaume in einen Hinterhalt locken und ermorden. Um diese Zeit bricht in Zaire der Bürgerkrieg aus. Die Diktatur wird zu Fall gebracht, manche werden reich, die meisten Armen ärmer. Jede:r kann erpresst werden, da jede:r Dreck am Stecken hat. An den bestehenden Verhältnissen ändert die Revolution nichts, wie im gleichnishaften Schlusskapitel dargelegt wird, in dem Sanza und Molakisi Jahre später noch einmal aufeinander treffen.

Wie Mwanza Mujilas Debut Tram 83 ist auch Tanz der Teufel geprägt von einem schnellen Tempo, großer atmosphärischer Dichte und einer das Leben zelebrierenden Intensität, wie man sie in der Gegenwartsliteratur nur selten zu lesen bekommt. War es in Tram 83 die titelgebende Bar in der Hauptstadt, in der alle Fäden der Geschichte zusammenliefen und weiter gesponnen wurden, so ist es in Tanz der Teufel das „Mambo de la fête“, in dem sich alles trifft, Klassenunterschiede verblassen, Bekanntschaften aller Art geschlossen und Deals beschlossen werden, in dem diskutiert, philosophiert und vor allem getrunken, getanzt und gefeiert wird.

Der beliebteste Song im Mambo ist der dem Roman seinen Titel gebende Tanz der Teufel, dessen Originalfassung eineinhalb Stunden dauert (die kurze Version kommt auf achtzehn Minuten), und bei dem alle ein Bein nach vorne setzen und zurück ziehen, während mit dem Hintern gekreist wird. Auch der übrige Soundtrack des Romans weckt die Neugierde und es lohnt sich, kurz das Buch wegzulegen und sich ein Stück auf Youtube anzuhören, die Stimmung der Lektüre damit zu verstärken und den eigenen musikalischen Horizont zu erweitern. Neben Referenzen auf zumeist europäische Literatur (auch Ingeborg Bachmann, Marlen Haushofer und Peter Handke werden im Mambo de la fête diskutiert) durchziehen Namen von Musiker:innen wie Hibari Misora, Soriba Kouyaté, Camille Feruzi oder generell Rumba aus Zaire den Text. Der Autor weist in einem Nachwort ausdrücklich darauf hin, beim Verfassen des Buches Jazz gehört zu haben, wie dereinst Bob Kaufman, Allen Ginsberg, Jack Kerouac, ruth weiss et al., weshalb es kein Wunder ist, dass der Rhythmus, die Melodie und die Lebendigkeit, die man beim Lesen spürt, auch ein wenig an die Literatur der Beat Generation erinnern. In einem Interview mit Antoine Wauters, das in Mwanza Mujilas in Bälde erscheinendem Lyrikband Kasala – für meinen Kaku (Ritter Verlag 2022) abgedruckt ist, erklärt der Autor zudem, dass er sich grundsätzlich als Dichter und die Lyrik als Antriebsriemen für sein Schreiben versteht, auch dann, wenn er einen Roman schreibt. Diese seltene Qualität merkt man Mwanza Mujilas Prosa an.

Über die Geschichte des Kongo, vormals Zaire, und Angolas lernt man beim Lesen einiges dazu. Und der grandiose Erzähler Mwanza Mujila macht viel eindrucksvoller als jedes Geschichtsbuch begreifbar, wie es wohl sein muss, in einem Land zu leben, das nach der Befreiung von einer brutalen Kolonialmacht in eine Diktatur schlittert und nach deren Sturz in einen Bürgerkrieg, in einem Land, in dem neben Korruption und Kriminalität das Schürfen nach Diamanten die einzige Hoffnung auf Wohlstand bietet – zum Preis, dass einem diese Arbeit jeden Tag das Leben kosten kann.

Mag sein, dass der Roman ein umfassenderes Bild des Kongo bzw. von Zaire zeichnet als es Tram 83 getan hat, weshalb er auf dem Umschlag als „politischer“ bezeichnet wird. Ich denke allerdings, dass Tram 83 bestimmt nicht weniger politisch ist, bloß weil das Buch einen kleineren Ausschnitt zeigte (was vielleicht nicht einmal stimmt, denn der scheinbare Mikrokosmos der titelgebenden Bar ist, wie der Autor in einem Gespräch schilderte, eine Vielzahl an Orten, die zu einem Schauplatz verdichtet wurden). Der größere Unterschied zwischen Tram 83 und Tanz der Teufel besteht meines Erachtens darin, dass Mwanza Mujila um einiges kühner im Strukturieren des Textes geworden ist – was ihm keinesfalls schadet. Hier folgt die Form dem wilden Ritt der Geschichte: In den 54 mal kürzeren, mal längeren Kapiteln folgt man den Protagonisten Molakisi, Sanza und Franz sowie der mysteriösen Figur der Madonna abwechselnd und zum Teil über Zeitsprünge, Flashbacks viele Jahre zurück, dann wieder nach vor. Molakisi verliert man, wie es auch im wirklichen Leben mitunter so geht, für lange Zeit aus den Augen, um ihm später wieder transformiert zu begegnen.

Mehr noch, der Text hat einen Erzähler, doch an vielen Stellen drängen sich einzelne Figuren in den Vordergrund und schildern das Geschehen aus ihrer Perspektive. Manchmal spricht auch ein kollektives „wir“. Oft weiß man längere Zeit nicht, wer gerade spricht, und dies herauszufinden bereitet neben vielen anderen erzähltechnischen Volten zusätzlich intellektuelles Vergnügen. Die Entscheidung für solcherlei Techniken scheint auch einer Auseinandersetzung mit der Kolonialgeschichte und der damit aufgezwungenen Verwestlichung des Kongos geschuldet zu sein. Im bereits erwähnten Interview von Antoine Wauters etwa zitiert Mwanza Mujila den Philosophen Valentin Mudimbe, der die Situation des Landes mit drei Schlaglichtern beschreibt: „The domination of physical space, the reformation of native minds, and the integration of local economic histories in the Western perspective.“ Dem westlichen Zeitempfinden und der Festschreibung des Alters in Form von Daten (etwa Geburtstag) zu Zwecken der Verwaltung beispielsweise entzieht sich der Text durch die oben beschriebene komplexe Gestaltung von Chronologien und etwa dadurch, dass die Madonna einmal als junge Frau in Erscheinung tritt, ihr Alter ein andermal mit zweihundert beziffert wird. „Immerhin kann man nicht leben, ohne sein Alter zu kennen oder wenigstens irgendein Datum an den Haaren herbeizuziehen“, erklärt sie ihrem Schützling Molakisi.

Man wünscht sich, es würde sich mehr solcher formal und thematisch aufregender Prosa in der österreichischen Gegenwartsliteratur finden. (Und ja, der in Lubumbashi geborene und auf Französisch schreibende Autor und Rosegger-Literaturpreisträger, der seit über zehn Jahren in Graz lebt, bezeichnet sich zu Recht als österreichischen Schriftsteller, allerdings ist seine Literatur darüber hinaus kongolesisch und französisch, afrikanisch und europäisch, transnational und kosmopolitisch.) Anders als viele seiner romanschreibenden Zeitgenoss:innen lullt Fiston Mwanza Mujila seine Leser:innen nicht ein, sondern weckt sie auf und hält sie wach.

Fiston Mwanza Mujila Tanz der Teufel
Roman.
Aus dem Französischen übersetzt von Katharina Meyer und Lena Müller.
Wien: Zsolnay, 2022.
286 S.; geb.
ISBN 978-3-552-07277-0.

 

Rezension vom 06.09.2022

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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