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Tanzcafé Treblinka. Geschlossene Vorstellung

Werner Kofler

// Rezension von Thomas Ballhausen

Mit dem Eintritt in das Tanzcafé Treblinka betreten wir erneut eine koflersche Version der Zauberflötenunterwelt. Das hier vorgelegte „Sprechstück“ war ein bereits vorangekündigter Schritt: in „Am Schreibtisch“ wird das noch zu schreibende Stück „Stadttheater“ erwähnt, in dem erneut die „Deutsche Wehrmachts- und Reichskammermusikzauberflöte“ behandelt werden soll. Im titelspendenden Gebäude werden die Figuren A und B präsentiert, die als „Kunstfiguren“ vorgestellt und richtiggehend auf der Bühne installiert werden, um an ihnen erneut den unerhörten, also auch: praktisch unbeschreibbaren, Bruch zwischen dem terroristischen Regime und der humanistischen Ausrichtung der Oper hinzuweisen. Doch dies vollzieht sich bar jeder Psychologisierung, gelingt ohne Dialog: A und B wechseln sich in ihrer Rede nur ein einziges Mal ab. So referiert A seinen Teil des Textes; B hingegen wiederholt, schärft ein, vernichtet.

In dieser Anklageschrift über das Nichtwissen und Nichterinnern wird die Welt zur Ansammlung traumatischer – und auch traumatisierter – Erinnerungsorte. Ihrer Heiligkeit entkleidet, wird so etwas wie ein Gewebeschock des Ortes deutlich, und macht auch das Theater selbst zu einem Raum der Erinnerung wider Willen. Auf den „Trümmer(n) des Gewesenen“ (Brock) agieren Verwalter eines menschenfeindlichen Systems, helfen, den Wahnsinn in der Realität zu verankern. Hierbei wird erneut das Schreiben thematisiert, finden wir Schreibtische auf der Bühne: aus bereits zumindest vage bekannten – denn vertraut können sie uns nicht sein, nicht bei Kofler – Schreibszenarien wird eine Erinnerungseinrichtung, die nach und nach zertrümmert wird. Der Ort des Schreibens als Tatort wird hier zum Aufbewahrungsraum einer unglaublichen Beweislast umfunktioniert, ein verdrängtes „Erinnerungsdepot“ (Klüger) wird ausgebreitet, der „mnemische Explosivstoff“ (Assmann) freigelegt. Dies macht auch die Wahl des Sarastro als Thema deutlich: dieser ist nicht nur Herrscher eines Reiches der Weisheit, er ist auch Verwalter einer unbewältigten – oder gar berichtigten – Geschichte, deren Entmenschlichung im regionalen Detail sichtbar wird.

In dieser Mitteilungswut von Wahrheit, dieser Einschärfung der Tatsachen wird der Autor als genauer, eigenwilliger Sammler deutlich. Als Monteur transdiskursiver Schichtungen betreibt er mit seiner Verbindung Ver- und Zerstörung, ein hartes Aufeinanderprallen und vor allem: ein Auseinanderklaffen, dort wo die unbeschreibbaren Leerräume sich einstellen. Nicht zu unrecht wird in den Regieanweisungen Sarah Kane erwähnt, wird in diesem Stück Koflers „Pädagogik des Destruktion“ (Fian) zu einer Didaktik des Schreckens erweitert: Aussage und Kommentar tauschen unbemerkt Plätze, die Sinnverstreuung, das Versprengte und Bruchstückhafte fördern eine beklemmende Dichte hervor. Genozid und Mnemozid sind Verwandte, Angehörige der gleichen Familienbande.
Das betonende Nachziehen der Spuren zahlloser Taten wird zu einer Form von Besichtigung mentaler Trümmerlandschaften. Der Sturm, der diese Verwüstungen verursacht hat, scheint sich nicht legen zu wollen. Kofler erinnert uns daran, ermahnt uns mit dieser erneuten Unterbrechung eines Schlummers der verheerenden, mildernden Demenz.

Sprechstück mit Musik.
Wien: Deuticke, 2001.
Reihe Deuticke LeseZeichen.
58 S.; brosch.
ISBN 978-3216305824.

Rezension vom 01.01.2001

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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