#Sachbuch

Texte zur Theorie der Autorenschaft

Fotis Jannidis, Gerhard Lauer, Matias Martinez, Simone Winko (Hg.)

// Rezension von Andreas Brandtner

Die Frage nach der Autorschaft und ihren theoretischen wie praktischen Implikationen zählt aktuell zu den wichtigsten Problemen der Literaturwissenschaft. Literaturtheoretisch wurde das Feld vor allem durch den poststrukturalistisch bestimmten Teil der Intertextualitätsdebatte, durch diskursanalytische Verfahren und durch die literaturwissenschaftliche Verarbeitung der Systemtheorie(n) Niklas Luhmanns und Talcott Parsons vorbereitet. Diese Ansätze relativieren nämlich die traditionell als maßgeblichen Semantisierungsfaktor angesehene Autorintention systematisch. Zudem konnte etwa von der germanistischen Mediävistik und Frühneuzeitforschung plausibel dargestellt werden, daß Autorschaft als historisch variables Konzept keineswegs in ihrer emphatischen Auslegung des späten 18. Jahrhunderts verallgemeinert werden darf und somit auch historisch differenziert werden muß.

Die Diskussion dieser brisanten Fragestellung um die historische Debatte zu bereichern, ist die Aufgabe der vorliegenden Anthologie. Zu diesem Zweck versammelt der Band – zum Teil in Erstübersetzungen – 14 Aufsätze, die einen Beitrag zur zeitgenössischen Auseinandersetzung leisten sollen. Dabei wurde auf Ansätze unterschiedlicher theoretischer Ausgangspositionen zurückgegriffen, die das Problemfeld aus den Sichtweisen von Psychoanalyse, Formalismus, Strukturalismus, New Criticism, Existentialismus, Werkimmanenz, Hermeneutik, Poststrukturalismus, Diskursanalyse und Feminismus wahrnehmen. Kurze Einführungen der Herausgeber zu den abgedruckten Aufsätzen, deren Abfolge chronologisch nach den Erstveröffentlichungsdaten geordnet ist, rekonstruieren den Diskussionskontext und fassen die Argumentation zusammen. Zudem werden in einem eigenen Abschnitt bibliographische Nachweise der bisherigen Veröffentlichung(en) des Textes und weiterführende Literatur versammelt. Eine einleitende Auswahlbibliographie gibt außerdem einen allgemeinen Einblick in die Forschungsliteratur, die sich mit dem Thema Autor beschäftigt.

Die konzise Einleitung der vier Herausgeber orientiert grundsätzlich in bezug auf die Frage nach der Rolle des Autors für die Interpretation literarischer Texte, die dann auch den Schwerpunkt der versammelten Einzelbeiträge darstellt. Im schematischen Überblick werden dabei theoretische Modelle und praktische Vorgangsweisen nach ihrer jeweiligen Orientierung an den zentralen Instanzen Autor, Text und Leser systematisiert. Als Positionen, die den realen bzw. empirischen Autor als wichtigste Größe für die Interpretation ansehen, werden Positivismus, Hermeneutik, Psychoanalyse und Existentialismus wahrgenommen. Präzisiert wurden diese Ansätze in der Folge vor allem durch eine Relativierung des Konzepts der Autorintention, wobei der Autor zwar als prinzipiell intentional agierender Faktor gefaßt bleibt, seine Intention aber gesellschaftlich bzw. sprachlich verallgemeinert gedacht wird. Interpretationstheorien, die auf den Autor als Verstehensnorm verzichten, versuchen entweder den Text oder den Leser als zentralen Bezugspunkt zu etablieren. Eine explizite Rekonstruktion der Textintention wird etwa im Rahmen von New Criticism oder Semiotik verfolgt, indem Interpretationsvoraussetzungen untersucht werden, die für alle literarischen Texte gelten sollen. Ebenfalls den Text favorisieren die systematische Unterscheidung zwischen Autor und Erzähler, die die Werkimmanenz vornimmt, und die Konstruktion des impliziten Autors (implied author) aus der amerikanischen Literaturwissenschaft. Auf den – realen bzw. auch idealen – Leser schließlich konzentrieren sich die Rezeptionsästhetik und später die Empirische Literaturwissenschaft, die beide in Deutschland entstanden sind. Die parallel dazu in Frankreich formulierte (post-)strukturalistische Kritik am Autor führt ebenfalls zu einer leserzentrierten Position, die hauptsächlich diskursanalytisch abgearbeitet wird. Feministische Ansätze können dabei zu analogen Problemwahrnehmungen gelangen.

Wie bereits die problem- und theoriegeschichtliche Verortung der Beiträge nahe legt, decken diese mehr als achtzig Jahre Arbeit am Gegenstand ab. Der früheste Text stammt von Sigmund Freud und wurde 1908 erstveröffentlicht („Der Dichter und das Phantasieren“), der späteste von der amerikanischen Literarhistorikerin Martha Woodmansee („Der Autor-Effekt. Zur Wiederherstellung von Kollektivität“, engl. 1992). Er verfolgt die Entstehung der modernen, individualistischen Eigentumskonzeption von Autorschaft, um schließlich auf gegenwärtige Formen kollektiven Schreibens im Rahmen digitaler Kommunikation auszublicken. Freilich finden sich unter den aufgenommenen Beiträgen auch die vielzitierten, einflußreichen und dem einschlägigen wissenschaftlichen Diskurs bekannten Stellungnahmen, so etwa Monroe C. Beardsleys und William K. Wimsatts Angriff gegen den literaturwissenschaftlichen Biographismus („Der intentionale Fehlschluß“, engl. 1946), Jean-Paul Sartres Appell für den engagierten Autor („Warum schreiben?“, aus: „Was ist Literatur?“, frz. 1947), Wayne C. Booths Einführung des impliziten Lesers (aus: „Die Rhetorik der Erzählkunst“, engl. 1961) oder Michel Foucaults Grundlegung einer historischen Funktionsanalyse von Autorschaft („Was ist ein Autor?“, frz. 1969). Oft zitiert, aber kaum im vollen Wortlaut bekannt, ist nun endlich in deutscher Erstübersetzung ebenfalls Roland Barthes‘ Essay „Der Tod des Autors“ (frz. 1968) vertreten. Auch tatsächliche Entdeckungen sind zu machen, so etwa Boris Tomasevskijs 1923 russisch veröffentlichter Zeitschriftenaufsatz „Literatur und Biographie“, der im Vorblick auf Foucault eine Typologie selbstinszenierter Autorschaft skizziert. In der Anthologie finden sich weiters Texte von Jan Mukarovskys („Die Persönlichkeit in der Kunst“, russ. 1944 bzw. 1966), Wolfgang Kayser („Wer erzählt den Roman?“, 1957), Eric D. Hirsch („Objektive Interpretation“, engl. 1960), Gérard Genette („Implizierter Autor, implizierter Leser?“, aus: „Nouveau discours du récit“, frz. 1983), Nancy K. Miller („Wechseln wir das Thema/Subjekt. Die Autorschaft, das Schreiben und der Leser“, engl. 1986) und Umberto Eco („Zwischen Autor und Text“, engl. 1990 bzw. 1992).

Die explizite – und bisweilen etwas schematische – Ausrichtung des Bandes, die wichtigsten verschiedenen Theorieansätze der Literaturwissenschaft zu versammeln, führt unbestritten zu einer sehr guten Textauswahl, muß aber abschließend die Frage nach dem Fehlenden aufwerfen. Und da erscheint es als Defizit, daß literaturwissenschaftliche Anwendungen der Systemtheorie(n) (sowohl handlungs- als auch kommunikationsorientiert) in ihrer spezifischen Wahrnehmung des Problems von Autorschaft nicht aufgenommen wurden. Diese hätten als originäre und komplexe (innerhalb literaturwissenschaftlicher Praxis auch nur schwierig vermittelbare) Positionen der Debatte einen neuen Akzent hinzuzufügen vermocht.

Der in Konzeption und Realisierung ausgezeichnete Band stellt nicht nur für den akademischen Unterricht ein wichtiges Hilfsmittel dar, in die Fragestellung umfassend einzuführen oder auch wichtige literaturtheoretische Positionen problemorientiert zu vermitteln, sondern bietet darüber hinausgehend eine hervorragende Möglichkeit, den derzeitigen Diskussionsstand um die Rolle(n) von Autorschaft, der häufig durch Schlagwörter und Stereotype gekennzeichnet ist, differenzierter zu gestalten. Besonders interessant erscheinen in der gegenwärtigen Phase literaturwissenschaftlicher Pragmatik (und theoretischer Defensive) diejenigen Versuche, die relativieren, vermitteln und ausgleichen und damit eine differenzierte Berücksichtigung des Autors für Interpretation und Literaturgeschichte ermöglichen. Der interpretatorischen und literarhistorischen Praxis – und darauf ist die germanistische Literaturwissenschaft in Österreich ja bekanntermaßen reduziert – ist hier ausreichend Gelegenheit geboten, literaturtheoretische Reflexion nicht als retardierenden, sondern als komplexitätssteigernden Faktor der eigenen Arbeit wahrzunehmen. Freilich ist dabei auch mit Verlusten zu rechnen: So könnte einer gegenwärtigen Autorenphilologie, die im emphatischen Blick auf runde Jahrestage allzu oft Autorsubjektivität ungebrochen emphatisch setzt, manch vermeintlich „Spannendes“ sperrig werden.

Fotis Jannidis, Gerhard Lauer, Matias Martinez, Simone Winko (Hg.) Texte zur Theorie der Autorenschaft
Sachbuch.
Stuttgart: Reclam, 2000 (= Universal-Bibliothek 18058).
316 S.; brosch.
ISBN 978-3-15-018058-7.

Rezension vom 20.02.2002

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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