So beschrieb beispielsweise Lili Körber eine vorweihnachtliche Werbekampagne der Österreichischen Handelskammer: „Christen kauft bei Christen“ im Gegensatz zum deutschen „Kauft nicht bei Juden“ mit dem lapidaren Kommentar „Wir in Wien sind höfliche Leute.“(2) Der „Anschluß“ wurde von verschiedenen österreichischen Dichtern hymnisch gefeiert, so Josef Weinheber in seinem „Hymnus an die Wiederkehr“ und Gertrud Fussenegger in „Stimme der Ostmark“. [datiert 12. März 1938] (17-18) Nach der Darstellung der historischen Fakten, die zum „Anschluß“ führten, verwendet der Verfasser Ernst Jandls 1962 entstandenes Gedicht über Hitlers Rede vom 15. März 1938: „wien: heldenplatz“ als Kernstück seines Buches. (23-40) Dann schildert er anhand von Zeitzeugnissen die Einengungen, die die jüdischen Kinder in Wien Schritt für Schritt bis hin zu den Deportationen erfuhren. Ein elfjähriges jüdisches Mädchen schrieb im April 1939 aus Wien an ihre Tante: „Du schreibst, wir sollen Gottvertrauen haben. Ich glaube nicht an Gott. Warum hat er uns so gestraft? Ich kann Dir nicht schildern, was wir mitgemacht haben. Mir hat Gott meine lieben Eltern genommen… Ich darf in kein Kino gehen, in kein Theater, ich darf nicht in den Park gehen, manche Tage darf ich mich nicht auf den Straßen zeigen. Ist das nicht genug? Ich bin noch nicht ganz zwölf Jahre, aber manchmal glaube ich, daß ich schon hundert Jahre alt bin.“ (57)
Ruth Klügers „Weiter leben“ beschreibt ein Schlüsselerlebnis, ein Kinobesuch („Schneewittchen“) als Spiegelbild ihrer eigenen Geschichte. Sie wurde von der Nazifamilie von nebenan gestellt und ihr wurde mit Anzeige gedroht. Es wurde ihr unmißverständlich klargemacht, daß sie als jüdisches Kind im Kino und in diesem Fall im Königsschloß nichts zu suchen hat: „Man sieht sich im Spiegel boshafter Augen und man entgeht dem Bild nicht, denn die Verzerrung fällt zurück auf die eigenen Augen, bis man ihr glaubt und sich selbst für verunstaltet hält.“ (58-9) [Anm. 2]
Erich Fried kam nur heraus in die Natur, als man seinen Vater so mißhandelt hat, daß er drei Tage später starb: „sie haben mir den Vater totgeschlagen,
daß ich ins Freie komm und Frühling seh.“ (68)
Die Deportationen in Österreich begannen nur zwei Wochen nach der „Heldenplatz“-Rede. (71) Die „Reichspogromnacht“ im November 1938 war noch zerstörerischer in Österreich als in Deutschland. Bourke macht deutlich, wie sehr der weitverbreitete Antisemitismus in Wien vor 1938 den „Anschluß“ erleichtert hat (100) und wie stark Österreicher unter den übelsten Holocaust-Verbrechern vertreten waren (80% des Eichmann-Stabes waren Österreicher, während es im Großdeutschen Reich 8,5% Österreicher gab). (100-101) Er möchte der Nachkriegsvorstellung der Österreicher als „Opfer“ entgegenwirken (106) mit Hilfe von Felix Mitterers 1987 uraufgeführten Stück „Kein schöner Land“ (110-1) und Robert Menasses „Im Anfang war das neue Österreich“. (108) Das Buch ist Stella Rotenberg gewidmet und schließt auch mit einem Text von ihr „An meine Landsleute“, die die Deportation und Ermordung ihrer Mutter in Auschwitz beschreibt:
„Ich werde alt
Meine Mutter ist tot
Meine Mutter lebte vor Jahren. …
Verriegelt rechts
versiegelt links
im Frachtzug für Pferde und Kohlen
mit Gefährten gepfercht
nach Osten gings
nach Auschwitz im südlichen Polen. …
Was dann geschah?
Wißt ihr das nicht?
Wollt ihr es wissen? Und sagen?“ …
(117-8)
Anm. 1: Joseph Roth, Werke Band 3, Köln 1991. S. 795.
Anm. 2: Ruth Klüger, Weiter leben, Göttingen 1992. S. 46-7.