#Sachbuch

Thomas Bernhard

Joachim Hoell

// Rezension von Alfred Pfabigan

In Untergeher lesen wir, dass mit einundfünfzig Jahren der allgemeine existentielle Untergang manifest wird; das wird an Hand des Beispiels der einundfünfzigjährigen Protagonisten Glenn Gould und Wertheimer festgestellt und der damals einundfünfzigjährige Thomas Bernhard hat es geschafft, diese Konstatierung auf der einundfünfzigsten Seite des Buches zu platzieren. Das ist eines der zahlreichen Beispiele für die geheimen zahlenmystischen Regeln, mit denen der aufmerksame Bernhard-Leser häufig konfrontiert wird. Es scheint, dass diese Regeln ihren Urheber überlebt haben und mittlerweile auch die Sekundärliteratur erfassen: die erste Einführung in Leben und Werk Bernhards, Hans Höllers Rowohlt-Monographie, umfasst 160 Seiten und hat damit offensichtlich einen Standard gesetzt – auch das jetzt publizierte „Konkurrenzprodukt“, Joachim Hoells dtv-Portrait Bernhards bringt es exakt auf diesen Umfang.

Höllers Arbeit beginnt mit dem „Testament“ und dessen Auslöser, dem Skandal um Heldenplatz. Obwohl auch Hoell über die „angeheizte“ politische Atmosphäre nach der Wahl Kurt Waldheims berichtet, den er bedauerlicherweise zu einem „SS-Offizier, der für Erschießungskommandos auf dem Balkan verantwortlich war“ ernennt, hat sich in den seit Höllers 1993 publizierter Monographie verstrichenen Jahren die Optik auf die Bernhardsche Biographie geändert. Die Rezeption beginnt ganz offensichtlich Bernhard von seinem negativen österreichischen Hintergrund zu lösen, diese „Deregionalisierung“ kann – vorsichtig formuliert – dem „Weiterleben“ Bernhards als internationaler Autor nur nützen. Für Hoell steht der Aspekt der „Selbstbehauptung“ in der Prosa und den Theaterstücken zentral, Österreich mit allen seinen Widrigkeiten ist ihm nur mehr ein Anwendungsfall einer allgemeinen Problematik. Neues Material ist aufgetaucht, die letzten Tage Bernhards sind genau dokumentiert und Hoell bringt auch einige bisher unbekannte Fotografien, über die sich jeder Leser freuen wird – etwa eine mit Marianne Hoppe in Torremolinos kurz vor Bernhards Tod oder eine von Bernhards erstem Automobil.

In summa ergänzt die Arbeit Hoells die bisherige biographische Literatur Bernhards trefflich und gibt daneben eine knappe Einführung in die wesentlichen Teile des Werkes. Das schließt allerdings nicht aus, dass man bei der Lektüre ein intensives Bedauern darüber verspürt, dass es keine „große“ Bernhard-Biographie gibt und in absehbarer Zeit auch nicht geben wird. Trotz Louis Huguets Chronologie, die leider ab den sechziger Jahren an Dichte verliert, und mehrerer neuerer Publikationen wie etwa dem vollständigen Hennetmair-Tagebuch und dem Katalog zur derzeit laufenden Ausstellung „Thomas Bernhard und seine Lebensmenschen. Der Nachlaß“ ist unser Bernhard-Bild noch immer lückenhaft und in vielen Bereichen, die nicht skandalisiert waren, farblos. Hier wäre Eile geboten, denn viele Menschen, die uns helfen könnten, diese Lücken zu schließen, werden nicht mehr lange als Zeugen zur Verfügung stehen.

Joachim Hoell Thomas Bernhard.
München: Deutscher Taschenbuch Verlag, 2000. (dtv-portrait).
160 Seiten, broschiert.
ISBN 3-423-31041-3.

Rezension vom 19.03.2001

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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