Dass nun der österreichische Ausläufer der globalen Krimi-Welle seine Helden und Antihelden wieder zurück in die Botanik spült, überrascht vor diesem Hintergrund nicht. Trügerischer als zwischen den rustikalen Fassaden der alpenrepublikanischen Provinz sind Idyllen bekanntermaßen nirgendwo. Allerdings ist der Austro-Krimi als Genre mindestens so hinterfotzig wie seine Protagonisten, der Griff zum allzu nahe liegenden Klischee zwar verlockend, der Qualität des Geschriebenen aber nicht immer zuträglich.
Österreichisches und Allzuösterreichisches zeigt auch der Salzburger Autor O. P. Zier in seinem Krimi Tote Saison, doch mit grob geschnitzter Massenware hat sein neuer Roman nichts zu tun. Schon die Sprache ist wohltuend ungewohnt: Anstelle des handelsüblichen, angestrengt lustigen oder bemüht derben Mundart-Österreichisch erzählt Zier seine Geschichte in langen, kunstvoll gedrechselten Sätzen, denen man ob ihrer Eleganz auch den einen oder anderen Manierismus verzeiht.
Der Beginn des Romans wirkt wie eine Umkehrung des oft bewährten Tricks, den Erzähler auf der letzten Seite als Mörder zu entlarven: Tote Saison setzt mit der Verhaftung des Ich-Erzählers unter Mordverdacht ein. Noch dazu wehrt sich dieser Erzähler, der Salzburger Schriftsteller Werner Burger, nicht gegen den Verdacht; vielmehr beschleichen ihn zunehmend Zweifel an der eigenen Unschuld. Zu gut sind seine Gründe, eine verhasste Politikerin tatsächlich von einem Rohbau gestürzt zu haben – und wer kann sich schon selbst hundertprozentig trauen?
Im Untersuchungsgefängnis rekonstruiert der verzweifelte Literat die Vorgeschichte seiner Verhaftung. Die Entscheidung des Autors, einen Berufskollegen in den Mittelpunkt seiner Geschichte zu stellen, erweist sich dabei als günstig: Sie lässt den Erzähler nicht nur sehr authentisch wirken, sondern bietet darüberhinaus die Gelegenheit, innerhalb des Kriminalromans ohne künstliche Verrenkungen auch über das Funktionieren von Literatur und den Literaturbetrieb nachdenken zu können.
Burgers Verhängnis beginnt mit dem Nervenzusammenbruch des Lehrers Erwin Lang wenige Wochen vor seiner Verhaftung. Eine rätselhafte Skizze, die Lang bei seinem Zusammenbruch bei sich trug, macht den Schriftsteller neugierig auf die Ursachen für das traurige Schicksal seines Bekannten. Diese scheinen anfangs etwas banal: Lang hat sich als Herausgeber einer vom Land Salzburg geförderten Kulturzeitschrift zu hartnäckig den Vereinnahmungsversuchen durch die Landespolitik erwehrt, wurde durch das Hinauszögern versprochener Subventionen unter finanziellen Druck gesetzt und war diesem offenbar nicht gewachsen. Die leichte Enttäuschung über diese simple Erklärung währt nicht lange: Im Zuge seiner Recherchen stellt Burger nicht nur fest, dass ziemlich viel faul ist im Lande Salzburg, er kommt auch einer Geheimorganisation auf die Spur, die in St. Johann im Pongau ein wahnwitziges touristisches Experiment veranstalten will, um die „tote Saison“ endgültig abzuschaffen.
Die Pläne der Touristiker, die an dieser Stelle nicht verraten werden sollen, könnten auch dem Gehirn eines im Drogenrausch delirierenden Alpenstronach entsprungen sein. Dennoch fällt es schwer, sie als völlig abstrus abzutun. Unwillkürlich fragt man sich, wie weit Österreichs Tourismusregionen denn wirklich noch von Visionen, die an den vierten Teil von Felix Mitterers Piefke-Saga erinnern, entfernt sind. Zudem wirken von den Geheimbündlern geklopfte Sprüche wie „Mut zur Macht“ alles andere als frei erfunden, und dass Parteien soziale Kompetenz durch ein karitatives Image ersetzen wollen, entspricht durchaus einem gewissen Zeitgeist.
O. P. Zier erweist sich in Tote Saison als kompetenter Kritiker typisch österreichischer Verhältnisse und als lustvoller Satiriker, zu dessen harmloseren Einfällen die Verleihung eines „Silbernen Hirschhornknopfs“ und des „Ehrendeckchens für das Ehrenamt“ durch das Land Salzburg zählen. Den Reiz seines neuen Romans macht eine sorgfältig ausbalancierte Mischung von Tourismus-Satire und Provinz-Politthriller aus: So abgehoben die Aktivitäten der Geheimbündler wirken mögen, so klebrig-vertraut ist die Bodenhaftung, die durch die detaillierte Beschreibung des Salzburger Parteienfilzes entsteht. Treten dann angesichts des parteipolitischen Miefs und des langwierigen Handelns, Feilschens und Erpressens rund um Posten und Pöstchen in Land und Bund erste Ermüdungserscheinungen ein, sorgt die verrückte Geschichte von der geplanten Abschaffung der toten Saison wieder für eine wohltuende Dosis Frischluft.
Gegen Ende der Handlung nähern sich Thriller und Satire auf für den Erzähler bedrohliche Art und Weise aneinander an. Gekonnt schildert Zier die wachsende Panik seines Helden, der durch den Fortschritt seiner Recherchen ins Visier der Tourismus-Geheimbündler gerät. Anonyme Anrufe, eine geköpfte Katze auf dem Fußabstreifer und zweideutige Anspielungen aus dem Mund von bis dahin unverdächtigen Gesprächspartnern lassen die Grenze zwischen realer Gefahr und Paranoia immer unschärfer werden, bis Werner Burger bereits die Abwesenheit konkreter Drohungen als bedrohlich empfindet.
Nach vierhundert packend geschriebenen Seiten ergeht es einem als Leser ähnlich: Der Unterschied zwischen Satire, Ulk und realistischer Erzählung verschwimmt zusehends. Zudem regt sich bei der Lektüre unter Umständen ein masochistisches Verlangen: Wer kein Nahverhältnis zum Land Salzburg hat, wird dies trotz der geschilderten schrecklichen Zustände bedauern, da der Roman wohl auch als Schlüsselroman gelesen werden kann. Fazit: Tote Saison ist ein irrwitziger, spannender und letzten Endes auch beklemmender Roman – und ein gelungener Einstand O. P. Ziers beim Residenz-Verlag.