#Prosa

Träume süß

Sven Daubenmerkl

// Rezension von Helmuth Schönauer

Erotische Begebenheiten sind immer spannend, denn sie legen meist mitten im Alltag los und hören oft erst nach dem Tode auf, Kenner vergleichen sie daher manchmal zynisch mit Kriegsgeschichten.
Sven Daubenmerkl, der in seinen Erzählungen immer großes Augenmerk auf die Gerade-noch-Erträglichkeit von Situationen legt [An unseren Grenzen, 1995], nähert sich dem großen Thema der binären Zuwendung von Menschen in zehn Geschichten.

Obwohl in den Geschichten teilweise ordentlich „zur Sache“ gegangen wird, tragen alle Beteiligten jenen heiligen Ernst der Literatur-Erotik in sich, mit dem sich einst in Kafkas Roman Das Schloß der Landvermesser und Frieda in die Bierlache hinter der Ausschank gelegt haben.
In „Miss“ erleben die Knaben an der Schwelle zur Pubertät den Lehrstoff für Englisch und die einsetzende halbernste Sexualität als Doppelpack. Das heißt für die Kids, daß die englische Semantik Wollust auslöst, während die ersten sexuellen Schübe unter Schaudern in gewisse Körperteile fahren. Ein Leben lang sind die Schüler dieser Klasse von Englisch und der Lehrerin fasziniert. Aber als ein ehemaliger Schüler, der extra für die Miss das Englisch-Lehramt gemacht hat, im Konferenzzimmer die erste Aufwartung als Erwachsener macht, ist die Miss zur Misses verwelkt.
„Der Gastfreund“ vom Land steigt kurz bei einer Studentenvertreterin in der Stadt ab, aber „für sie wurde es keine gute Nacht“ (S. 23). Genitalien können generell lästig sein, wenn sie aber bewußt ignoriert werden, können sie in große Erregung geraten. Der Gastfreund reagiert sich tagsüber mit U-Bahn-Fahrten ab, damit er es im Nebenzimmer nächtens besser aushält. Bei seinem Verschwinden hinterläßt er Grillparzers Medea ohne Widmung, dennoch liest die Studentenvertreterin in der Folge das Buch „äußerst persönlich“.

In weiteren Episoden geht es um Planung und Zufall bei der Installation eines erotischen Ambientes.
„Nüchtern bist du unerträglich“ zeugt von der großen Angst, die manchmal mit großer Körpernähe einhergeht.
Die ironische Aufforderung „Träume süß“ bringt einen aufdringlichen Saftsack schließlich noch kurz zum Schäumen, ehe er verschwindet.

Sven Daubenmerkls Geschichten sind feingeschliffene Provetten, in denen scheinbar fassungslos das jeweils Unaussprechbare eingeschlossen ist. Immer wieder versagt die Sprache der Helden und das Trivialste scheint den größten Glanz zu besitzen.
Die Ironie der Geschichten ist faszinierend, denn die einzelnen Sätze für sich genommen klingen wie aus Täglich Alles. Aber der Autor sägt diesen einfachen Sätzen immer das semantische Standbein an, so daß alle Sachverhalte wackelig werden und schließlich wegrutschen.
Selten leidet der Leser bei Erzählungen so mit den Helden mit wie bei diesen Geschichten vom Verlieben. Denn stündlich kann er, der Leser, zu einem Helden à la Daubenmerkl werden, und dann gnade Gott, wenn er in Ironie und Selbstbewußtsein nicht sattelfest ist.

Wenn man davon ausgeht, daß sich das Einfachste am schwierigsten darstellen läßt, dann sind Daubenmerkls Geschichten bemerkenswert luftig ausgefallen.

Sven Daubenmerkl Träume süß. Geschichten zum Verlieben.
Geschichten.
Linz: Resistenz, 1999.
122 S.; brosch.
ISBN 3-85285-021-5.

Rezension vom 05.10.1999

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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