#Prosa

Traumberichte

Andreas Okopenko

// Rezension von Klaus Kastberger

Eine längst fällige Wiederentdeckung findet derzeit in Österreich statt. Betroffen ist Andreas Okopenko, 1930 geboren und bis heute einer der wichtigsten Dichter im Land. Im Jänner nächsten Jahres erhält der Autor den Großen Österreichischen Staatspreis für Literatur. Auch die Bücher Okopenkos, dereinst vom Residenz Verlag wie heiße Kartoffeln fallen gelassen, sind nach langer Absenz wieder auf dem Markt präsent. So liegen jetzt Neuauflagen der beiden Avantgarde-Klassiker „Lexikon-Roman“ und „Meteoriten“ sowie im Wiener Sonderzahl-Verlag ein Materialienband zum Autor vor.

Als eigentlicher Höhepunkt all dessen ist soeben in der kleinen Linzer Edition Blattwerk eine aktuelle Publikation des Autors erschienen. Der Band nennt sich – schlicht und präzise – Traumberichte und versammelt Träume, die sich der Autor (wie er selbst sagt) „quer durch seine Lebensalter“ „ausverleibt“ hat; beginnend in den 50er Jahren bis hin zur unmittelbaren Gegenwart. Auch die Art der Entstehung weist Okopenko im Nachwort des Buches genauestens aus: Teilweise basieren die meist nur halbseitigen Berichte auf Stichwörtern und Stichwortnotizen; es finden sich in dem Band aber auch späte Erinnerungen an längst vergangene Träume, Stücke also, die nachträglich aus dem Gedächtnis geholt wurden.

Insgesamt bilden die Traumberichte ein (in dieser Konsequenz und über diesen Zeitraum) einzigartiges Projekt literarischer Selbstbeobachtung. Die einzelnen Texte zeichnen sich dabei durch die Qualitäten des Autors aus. Der gelernte Chemiker Okopenko legt in der Erkundung seiner Innenwelt einen geradezu naturwissenschaftlichen Maßstab an. Mit großer Genauigkeit werden die flüchtigen Erscheinungen des Traumes festgehalten, vielfach ist von konkreten Orten und konkreten Personen die Rede, viele Texte gewinnen in ihrer Kürze die Prägnanz fernöstlicher Literaturformen.

In einem solchen Traumbild kommt beispielsweise der leibhaftige Jean Paul Sartre bei der Tür herein und weiß auf die Frage nach dem Zusammenhang von „Welt und Hölle“ keine rechte Anwort. In einem als „ungut“ betitelten Traum ist der Träumende in ein afrikanisches Land gestellt und „bekommt es dort“ – zu seinem Schrecken – „mit Kardinälen“ zu tun. Wenig später findet sich der Mann als „Politiker in Krems“ wieder, und hat dort mit einer übermenschlichen Aufgabe zu kämpfen: Er soll dem Herrn Bundespräsidenten den Bau eines Ozeanhafen für diese Stadt ausreden.

Neben dieser luziden Art von Gesellschaftskritik kommt in Okopenkos Traumberichten auch die Sexualität nicht zu kurz. Zwischen Öfen; Bratpfannen und Schmelzvorgängen aller Art entfaltet sich, was man (seit Freud) als die Symbolik des Geschlechtsaktes kennt. Auffallend ist nur, daß in Okopenkos Berichten gerade jenes Instrument fehlt, das der Stammvater der Psychoanalyse für das wesentlichste gehalten hat. Nicht die harten länglichen Formen dominieren in Okopenkos Traumsprache, sondern die runden fließenden; alles scheint in eine große, allumfassende Kugelwelt getaucht.

Die Antike hat ihre Weltumgebung als einen Kosmos gesehen und meinte damit das Eingebunden-Sein in einen kreisförmigen Ablauf. Etwas von diesem Kosmos findet sich in den Träumen Okopenkos wieder, ein tiefer Einklang von Mensch und Gegenstand, wobei diese Idyllen immer wieder auch gegen ihr Ende verteidigt werden müssen. So tauchen am Traumhorizont vielfältige Gefahren auf: Sternschnuppen, die ein Chaos verursachen, oder ein Komet, der die Erde bedroht. In einem anderen kosmologischen Traum ist es die „böse Sonne D3“, die feindselig auf die Erde herniederblickt. Anderswo zeigt sich als Zeichen des Untergangs eine sogenannte „Begleit-Erde“, in der sich das Terrestrische seltsam verdoppelt.

Okopenko hat die mehr als dreihundert Traumberichte zu Themenkomplexen geordnet; eine Zusammenstellung, die in sich recht stimmig wirkt. Existentielle Belange handelt das Kapitel „Leben, Freude, Totsein“ ab; und eine überaus schöne Abteilung findet sich unter dem Titel „Tierleben“. Dort ist unter anderem von der Gefahr des „Geelcht-Werdens“ die Rede, und auch eine Adaption von Kafkas Verwandlung findet statt – und zwar ereignet sich diese in Hinsicht auf den verstorbenen österreichischen Dichter Ernst Kein. Okopenkos Traumstimme spricht den Freund mit einem kleinen Kindervers an: „Das wär nicht schlecht, Du jetzt als Hecht“.

Aberwitzige Spontangedanken wie diese waren uns bereits aus Okopenkos früherer Lyrikproduktion, aus den sogenannten „Lockergedichten“, bekannt. Die Traumberichte stellen für solche Ein- und Zufälle nunmehr einen etwas breiteren Rahmen zur Verfügung; sie entwickeln aus ihnen einen Prosatext des Unbewußten. Dem Autor ist mit dem Buch tatsächlich eine Gratwanderung gelungen: Er hat seine Textstücke der Zensur des Wachbewußtseins entzogen und sie dabei doch in sanfter Weise literarisch geformt. Der Stoff, aus dem Okopenkos Träume sind, kann als hochqualitativer und höchst vergnüglicher Lesestoff empfohlen werden.

Andreas Okopenko Traumberichte
Prosatext.
Linz, Wien: Blattwerk, 1998.
210 S.; brosch.
ISBN 3-901445-24-2.

Rezension vom 04.12.1998

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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