#Roman

Tynner

Ulrike Längle

// Rezension von Astrid Wallner

Der Single ist ein beliebter Gast in der Literatur und in seiner Einsamkeit ein häufig bespiegeltes Objekt. Wie kein anderer erfüllt er die Voraussetzungen zum tragikomischen Leben. Tynner, die titelgebende Figur in Ulrike Längles erstem Roman, ist ein Single – mit kleinen Schönheitsfehlern: angegrauter Mittfünfziger mit Spitzbart und Brille, Universitätsdozent mit Spezialgebiet komische Dramatik für Studienanfänger, Mutterbindung, Eigentümer eines Pferdes. Im Neben- und Nachtberuf ist er Schriftsteller. Er schreibt an einem „Roman über die Risse im Putz der Gesellschaft“, in den er eine „große Theorie des Seriösen“ einbauen möchte: „In seinem Berufsleben hatte er so viel mit dem Komischen zu tun, daß ihm der Sinn nach etwas anderem stand.“ (S. 46) Immer wieder sucht Tynner Zuflucht bei seinem Roman, aber so wichtig ist ihm das Ganze auch wieder nicht, denn falls sein Projekt scheitern sollte, will er ein Kochbuch schreiben, mit ganz genauen Mengenangaben.

Daß es weniger um den ungeschriebenen Roman als um die Monotonie in seinem Leben geht, demonstriert auch das große Schlafbedürfnis Tynners. Die meiste Zeit nämlich kugelt er im Bett herum, sei es im eigenen oder im Hotelbett, bei diversen selbst- oder fremdverordneten Kulturausflügen, oder auf dem Kanapee im Altersheim bei der Mutter. Immer wieder wird er von der Autorin ins Bett geschickt, er wacht zur Unzeit auf, schläft schlecht und träumt viel. Im Bett wartet er selbst den täglichen Wisch- und Scheuergang von Frau Ripp, seiner Putzfrau, ab, so bekommt er sie auch nie zu Gesicht. Aber die kleinen Veränderungen in seiner Wohnung – Parfüm- statt Schweißgeruch, Mohnweckerln statt Semmeln auf dem Frühstückstisch, die falsch plazierte Spülbürste und frische Blumen – rütteln den Vielschläfer wach. Er beschließt, Frau Ripp zur Rede zu stellen …

Als die Autorin 1992 das literarische Parkett mit dem Erzählband „Am Marterpfahl der Irokesen“ betrat, wurde sie von der Kritik mit viel Lob empfangen. Vor allem ihr knapper lakonischer Ton und ihre gewitzte Phantasie fanden positive Resonanz. Martin Walser, der Großmeister des ironischen Funkenregens, war begeistert: „Eine so treffsichere Kurzangebundenheit ist mir in Prosa noch nicht begegnet. Und weil das immer so weitergeht, kommt man ins Jubeln.“ Auch „Tynner“ macht bereits auf den ersten Seiten klar: Innerlichkeit ist Ulrike Längles Sache nicht. Im Gegenteil: auf gewohnt witzige und unterhaltsame Weise rückt sie dem Thema Einsamkeit zu Leibe, und es gelingt ihr, dem schweren Sujet das Gewicht zu nehmen. Nicht die Einsamkeit selbst, sondern die Aktivitäten, die Tynner dagegensetzt, geben ihm den Charme des schrulligen Einzelwesens. Auf diese Weise gerät auch der Kulturbetrieb mit seiner Bildungsreisetätigkeit und Festspielseligkeit ins satirische Zwielicht. Für den aufgebauten Spannungsbogen wirkt die Gattungsbezeichnung „Roman“ allerdings eine Nummer zu groß – „Erzählung“ im Untertitel würde zu Tynners Geschichte besser passen.

Ulrike Längle Tynner
Roman.
Frankfurt am Main: S. Fischer, 1996.
144 S.; brosch.
ISBN 3-596-22386-5.

Rezension vom 19.08.1997

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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