#Prosa

Umbruch

Raoul Hausmann

// Rezension von Anne M. Zauner

Raoul Hausmann (1886-1971) spielt in den zwanziger Jahren bei den Berliner Dadaisten als der Dadasoph eine zentrale Rolle. Er ist Experimentator aus Berufung, Provokateur aus Überzeugung und im Alter ein vergessener einsiedlerischer Menschenfeind. Sein umfangreiches bildnerisches Werk ist heute nur mehr wenigen bekannt, die Typoskripte und Textfragmente liegen zum Großteil unpubliziert in seinem Archiv in Limoges.

Der Haymon Verlag hat nach seiner umfangreichen Hausmann-Monografie von Adelheid Koch 1994 nun einen literarischen Text des Künstlers mit dem Titel Umbruch erstveröffentlicht, nachdem die Publikationsversuche bei Petersen und Claassen in den sechziger Jahren scheiterten.

„Die Wolken sagen es, die Gesteine sagen es, sie lassen vor Stille dröhnend ihre tonlose Aussage vor unseren verhärteten Ohren erscheinen.“ (S. 22) Das Kernstück von „Umbruch“ ist eine Autofahrt von Limoges, Raoul Hausmanns letztem Zuhause, nach Mailand und zurück, er nennt es „Reise Fortort nach Hierda“.
Mitreisende sind seine Frau Hedwig, seine Geliebte Marthe Prévot und das befreundete Ehepaar Robert und Andrée Michaud. Anlaß für die kurze, schnelle Reise ist eine Hausmann-Personale in der Mailänder Galleria del Grattacielo 1963. Der Künstler ist zu diesem Zeitpunkt bereits 77 Jahre alt.

Umbruch ist eine Collage aus Augenblicksgedanken, Wortspielen, Gedichten und essayistischen Exkursen. Poesie geht nahtlos über in Geschwätzigkeit, altersweise Aphorismen in selbstverliebte Alltäglichkeiten. Ein Grund für die unterschiedliche Dichte des Textes liegt sicherlich in der Persönlichkeit Raoul Hausmanns. Er ist wegen seines stürmischen, genialischen, aber auch jähzornigen und exhibitionistischen Wesens geliebt und gefürchtet. Und für ihn ist die Kunst der Spiegel des Ich und versucht nicht, das Leben zu überdauern.

„Der Mensch ist nur ein kompliziert gewordenes Kind, das nicht weiss, was es tut. Herr, Herr, vergib ihnen, weil sie nicht wissen, was sie tun. Sie sprechen nur in Märchen die Sprache der Vögel oder der Fische, sie sprechen tausend Sprachen und können in keiner sagen, was sie sagen möchten oder sagen sollten. Des Menschen Denken und Sprechen ist Kauderwelsch. Verschmitzt, nicht wie schmutzig, sondern wie schlo.“ (S. 103)

Der Mensch, ist Raoul Hausmann überzeugt, hat sich dem Leben entfremdet; er ist ein domestiziertes Tier geworden. Dagegen versucht er zeit seines Lebens und mit all seinen Talenten, sein Wesen zu ergründen, zu fühlen, zu formen, zu riechen, zu schmecken oder in Worte auszudrücken – und ihm ist alles eins.

Raoul Hausmann Umbruch
Prosa.
Mit Nachwort von: Adelheid Koch.
Innsbruck: Haymon, 1997.
127 S.; geb.
ISBN 3-85218-255-7.

Rezension vom 26.03.1998

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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