#Prosa

Und käme schwarzer Sturm gerauscht

Florian Neuner

// Rezension von Petra Nachbaur

Am Titelblatt reimt sich „linz“ auf „Provinz“, und das ganze Cover könnte boshaft als „geschmackvoll“ bezeichnet werden. Mit dem ersten Band dieser neuen Reihe setzt der Herausgeber Christian Steinbacher, als Schriftsteller wie als „blattwerk“-Verleger für Qualität bürgend, ein ganz klares antiprovinzielles Signal – Florian Neuner, 1972 in Oberösterreich geborener, schon mehrere Jahre in Berlin lebender Autor, eröffnet diese „edition linz“ aus der Distanz.

 

Und käme schwarzer Sturm gerauscht, zitiert der Titel eine Zeile aus Conrad Ferdinand Meyers Gedicht „Ich würd es hören“ und eröffnet damit ein Assoziationsfeld von Musik, Ton, Dunkelheit, Trunkenheit, schon verborgener codiert auch die Männerliebe, ist im Meyer-Gedicht doch auch von den „wilden Hirtenknaben“ die Rede, und ein nackter „Jüngling“ ziert auch das Deckblatt des Bandes.

Schon auf der ersten Textseite bestätigt sich in den einzelnen Montage-Einheiten dieses Feld – Eichendorffs „Die Nacht“ kommt da zu Wort und kurz darauf („Ich weiß nicht, wo ich bin“) Rio Reiser, der schwule Liedermacher und Rockstar aus der legendären Berliner „Ton Steine Scherben“-Szene, der seinen Künstlernamen aus Karl Philipp Moritz‘ „psychologischem Roman“ entnommen hatte, mit seinem Album „Durch die Wand“, in dem es im selben Lied, aus dem das Zitat stammt, heißt: „Der Tag zu weit, die Nacht zu eng“. In diesem Spannungsfeld zwischen Düsternis und Erhellung („shine and dark“), Zaudern und Drängen erstreckt sich Florian Neuners Prosadebüt.

Bald wird deutlich: Bei diesen Montagen handelt es sich nicht um einen bloßen Jamben-Jam. Innerer Zusammenhang zwischen den Zitaten aus romantischen Gedichten und Liedern, aus „Hosi“-Aufklärungsmaterial und aus kommentierenden Texten zur Musik und zur Kunst der (musikalischen) Interpretation ist die Begeisterung des Sprechenden, des Schreibenden, für die Musik, insbesondere für das Lied, und besonders für einen Künstler, dessen Foto die Seite vor dem Text ziert und dem im Anhang an die Prosa vier Hommagen gewidmet sind.

Diese schwärmerische Verehrung für einen Meister wird begleitet von Schilderungen flüchtiger sexueller Begegnungen in Parks, Saunen oder einschlägigen Lokalen, von scheuen Flirts und rasch abgewickelten Aufrissen. Dabei werden romantische Zitate aus ihrem ursprünglichen Zusammenhang gerissen und verfremdend in einen neuen gestellt, der ihnen jede Überhöhung raubt und sie so grob wie groß in den Kontext „unromantischer“ sexueller Praktiken stellt: „Vom stillen Strahl“ zitiert zwar Lenau („Meine Rose“), schießt aber inmitten von Schilderungen aus Piss-Parties hervor; ähnlich dekontextualisiert wird „Dann tut es noch einmal so weh“ von Schumann/Heine. Eher auf der Hand liegend, weil weniger radikal rekontextualisiert, ist da Goethes „Ganymed“, der in kurzen Emphasen („Ich komm, ich komme!“ – „Wohin, ach, wohin?“ – „Mir! Mir!“) eine Textpassage (S. 17ff) begleitet.

Die Passage ist überhaupt ein wesentliches Element in Neuners Prosa, die Textstrecke, aber auch der Übergangsritus, das fortwährende Unterwegssein, dokumentarisch festgehalten in achronologischen Notizen über Zugfahrten, Radfahrten, Streifzüge durch verschiedene Städte, einmal über einen Flug, nicht immer, aber oft auf der Jagd nach einem Abenteuer der anderen Art, nach einem Hör-Erlebnis.

An die Romantik erinnert auch das Motiv des Wanderns. Weniger der Flaneur ist bei Neuner auf dem Weg, mehr der Getriebene, der den Weg verläßt, sich dem Um- und dem Abweg aussetzt. Szenen voller Bewegung aus der Motivik Licht-Dunkel, laut-leise wechseln sich ab mit Reflexionen über das Verhältnis von Sprache und Klang in der Textmusik, speziell im Lied, Reflexionen, die der rastlosen Gestimmtheit Momente des Innehaltens gewähren.

Kontrastiert werden diese Beobachtungen aus dem musiktheoretischen Zusammenhang durch Codes, die in ihrer Einzelbuchstabenform an die Tempo- und Lautstärkeangaben aus Partituren erinnern, hier aber Abkürzungen aus internationalen, englischsprachigen Queer-Städteführern darstellen. „p“ heißt da nicht „leise“, sondern „Sie müssen klingeln!“ Die Codiertheit der Welt wird dort um so deutlicher, wo die Codes nicht mehr allgemein verständlich und dadurch weit körperlicher präsent sind.

Der Sprechende als Fan, als Jünger, im Rauschen des schwarzen Sturmes und im Rausch verschiedenster Biersorten, die protokollarisch festgehalten sind und unter anderem auch bedeuten, daß es sich nicht um ein bildungsdünkelhaftes Konzertgehertum handelt, sondern um eine wesentliche Besessenheit, legt Zeugnis ab von seinem Straucheln, seiner Suche, seiner Sucht. Etwas affektiert, um nicht zu sagen unfreiwillig komisch, wirkt es da, wenn der Autor geziert von einer „-brochure“ schreibt oder es ausgerechnet einem „J. aus Basel“ „chochaft“ (S. 58) einfährt.

Bei aller Ernsthaftigkeit gelingt es Neuner auch (oder passiert es ihm?), das homosexuelle Klischee „tuntig“ darzustellen, wenn er die verschiedenen Stilebenen kraß aufeinanderprallen läßt: „Ach! Das macht mich gar betrübt“ lautet S. 58 der unmittelbare Kommentar zu einem Ausschnitt aus einem Leserbrief der typischen Besserwiss-Sorte, in dem es darum geht, daß an einer bestimmten Autobahnraststätte keineswegs so viel homosexuelles Treiben sei, wie im entsprechenden Medium anscheinend zuvor behauptet. Komik entsteht zunächst schon durch den abrupten stilistischen Bruch und wird noch verstärkt, wenn der ungenannte Titel des Liedes/Gedichtes „Lieblingsplätzchen“ (Mendelssohn-Bartholdy / Friedricke Robert) mit ins Spiel kommt – damit verlangt Neuner von seinen LeserInnen allerdings, daß sie in der Romantik mehr als „bewanderte“ sind.

Er legt Spuren und Fährten, denen die LeserInnen selbst nachspüren müssen, und wenn sie sich diese Mühe machen, eröffnen sich immer neue Horizonte des romantischen Kosmos und der wilden Brüche. „Vielleicht ein Wort, vielleicht ein Lied“, montiert Neuner wieder C.F. Meyer („Firnelicht“, ein Gedicht, in dem auch „das große stille Leuchten“ zur Sprache kommt) und verweist damit auf die vielfältigen potentiellen Anklänge und Bezüge, die sein knapper Text über zwei Künste her auffächert.

Christian Steinbachers Bemerkungen (Zu Florian Neuners „Und käme schwarzer Sturm gerauscht“ S. 67ff) in allen Ehren, aber Neuners Text hat soviel Stand- und Sprungkraft, daß er einer gar so ausführlichen Legitimation durch den Herausgeber nicht bedurft hätte – wobei es zugegebenermaßen schon wieder einen ganz speziellen Witz hat, wenn sogar und ausgerechnet ein „Hahaha“ noch „belegt“ wird (S. 72)!

Bei allem Bekenntnis zum Fragment, zum Offenen und zum Bruchstückhaften ist Neuners Text wohldurchdacht gebaut, es drängt sich auf zu sagen komponiert. Die Prosa mündet in ein Aufblitzen von elektrischem Licht, das eine Männergruppe auf- und auseinanderscheucht, und in zwei abschließende Zitate: Das erste ein sehr ironisch gesetztes aus Richard Dehmels „Erlösungen“: „Das Lied ist aus“, wobei die Ironie darin besteht, daß es bei Dehmel heißt: „Das Lied ist aus – juchhee!“

Als letzter Satz steht eine leicht resignative Bemerkung Dietrich Fischer Dieskaus aus einem Interview: „Da sehe ich nicht, wie das weitergehen soll“ – vollendete Geste des Anhängers gegenüber dem Idol, ihm das letzte Wort zu lassen, gleichzeitig impliziertes Einverständnis mit dem imaginierten Partner, daß auch er an dieser Stelle gestoppt oder unterbrochen hätte.

„Hab ich’s verstanden?“ (S. 61) fragt sich mit Schubert und Müller auch die Rezensentin. Sei’s drum: „Nach Arbeit ich frug, / Nun hab ich genug, / Für die Hände, fürs Herze / Vollauf genug!“

Florian Neuner Und käme schwarzer Sturm gerauscht
Prosa.
Linz u.a.: Bibliothek der Provinz, 2001.
76 S.; geb.
ISBN 3-85252-390-7.

Rezension vom 23.04.2001

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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