#Sachbuch

Verlage ohne Verleger

André Schiffrin

// Rezension von Alfred Pfabigan

Das neue Buch von André Schiffrin kann auf verschiedene Art gelesen werden: zunächst enthält es die faszinierende Lebensgeschichte eines der wichtigsten Verleger des zwanzigsten Jahrhunderts.

Schiffrins Vater Jacques war der Begründer der legendären Les Editions de la Pléiade, jener Reihe, in der nicht nur die Klassiker der Weltliteratur sondern auch die erste erschwingliche Marcel Proust – Ausgabe erschienen sind. Schiffrin senior verkaufte seinen Verlag an Gallimard, der ihn – seiner jüdischen Abstammung wegen – 1940 kommentarlos feuerte; Verlagsgeschichte ist immer auch Sozialgeschichte. In New York gründete Schiffrin Pantheon Books, jenen für die amerikanische Literaturszene wesentlichen Verlag, der von Broch über Valery bis C.G. Jung und Boris Pasternak die europäische Moderne in die amerikanischen Bestsellerlisten brachte. Schiffrin junior begann seine Karriere als Verleger bei der New American Library, einem Taschenbuch-Verlag mit einem interessanten Mischprogramm, in dem Mickey Spillane und Margaret Meads Studie über die sexuelle Erziehung der jungen Samoaner friedlich miteinander koexistierten.
Pantheon wurde vom Random House Konzern geschluckt und Schiffrin übernahm den Verlag seines Vaters mit dem Auftrag, „einfach die besten Bücher (zu) veröffentlichen, die wir auftreiben konnten“. Das ist ihm offensichtlich gelungen – das Jahr 1968 als folgenreiche intellektuelle Bewegung in den USA wurde weitgehend von Pantheon Büchern ermöglicht.

Schiffrin beschreibt eine Zeit, in der Verleger kulturbewusste Gentlemen waren, und keine Jäger nach dem Profit, die selbst einen ostentativ konsumorientierten Lebensstil führen und sich an den Spitzenmanagern der sonstigen industriellen Bereiche orientieren. „Die Vorstellung, dass Verlage einzig und allein zu dem Zweck kooperierten, damit sie ihre Arbeit gewinnbringend verkaufen konnten, kam uns angesichts der Probleme, mit denen wir uns alle gemeinsam konfrontiert sahen, banal und unangemessen vor.“ Die Berufsmentalität dieser Verleger basierte auf einem gemeinsamen Credo: eine Option beinhaltete den ernsthaften Entschluss, einen Autor an das Haus zu binden, ihn „aufzubauen“ und auch ein am Markt sperriges Produkt zu verlegen. Dass man bei über 90% der Bücher Geld zusetzen muss, war ein akzeptiertes Prinzip, dessen ökonomische Folgen durch Mischkalkulationen aufgefangen wurden: Mickey Spillane finanzierte sozusagen Margaret Mead. Das Prinzip lohnte sich lange Zeit – immer wieder gelang es, nach dem vierten oder fünften Buch Autoren wie Foucault oder Duras erfolgreich zu verkaufen. Generell war die Gewinnerwartung gering, man ging von einer Umsatzrendite von 2 – 5 % aus.

Diese Mentalität widerspricht dem kapitalistischen Profitprinzip in eklatanter Weise – es ist bemerkenswert, dass sie sich im Verlagswesen so lange halten konnte. Im internationalen Verlagswesen haben sich im letzten Jahrzehnt stärkere Veränderungen ereignet, als in den letzten einhundert Jahren. Auch der Buchmarkt spiegelt die globale Entwicklung und Schiffrins Buch fügt sich nahtlos in die zahlreichen Kritiken der Globalisierung ein. Irgendwann begann ein neuer Menschentyp die Zentralen der Mischkonzerne zu erobern, der sich fragte, ob es nicht klüger wäre, möglichst nur Bestseller zu produzieren und das Prinzip, dass ein erfolgreicher Titel die anderen finanzieren sollte, in Frage stellte. Gigantische Mischkonzerne entstanden, deren Führung der Glaube an den Markt und die Bereitschaft, ihm die früher hochgehaltenen kulturellen Werte zu opfern, leitete. Random House wurde von Bertelsmann aufgekauft – und damit beginnt der Abstieg von Pantheon House, das heute mit opulenten Bildbänden über Barbie seine Leserschaft beglückt. In den Vereinigten Staaten werden heute zwar mehr Bücher verkauft als in jedem westlichen Land – die Zahl der Titel ist allerdings zurückgegangen und das bedeutet eine kulturelle Verarmung. Bei Bertelsmann geht man heute von einer Umsatzrendite von 15 % aus, die „Todeszone“ beginnt ab 10 % – das bedeutet, das unzählige Bücher einer „Marktzensur“ unterliegen.

Die Entwicklung, die Schiffrin einfühlsam und anklagend beschrieben hat, ist irreversibel. Bücher werden auch geschrieben und verlegt, um Geld zu verdienen und die Summen, um die es im Verlagsgeschäft geht, waren noch nie so hoch wie heute. Wie können wir die gefährdete kulturelle Vielfalt erhalten? Sowohl Schiffrins wie auch Wagenbachs Vorschläge bleiben im allgemeinen: Wagenbachs Hoffnung, dass die Dominanz der Kaufleute im Verlagswesen eine vorübergehende Erscheinung sein könnte und sich die „buchindustrielle Ideologie“ ändern würde, ist nicht sehr realistisch. Ausgespart bleibt der Aspekt, dass der Buchmarkt in seiner Gesamtheit immer noch manchen eigenbrötlerisch – anachronistischen Bräuchen huldigt, die ihn hindern beispielsweise die neuen Vertriebsmöglichkeiten zu nutzen. Vor allem aber muss der Missstand, dass die EU einerseits wegen des Subsidiaritätsprinzips kaum eine zentrale Kulturpolitik betreibt, andererseits aber Versuche, wie etwa die Aufrechterhaltung der Buchpreisbindung, mit Rücksicht auf das Marktprinzip einschränkt. Was das europäische Verlagswesen braucht, ist also eine konzertierte gesamteuropäische Neuorientierung – eine Aufgabe für die nationalen Kultur- und Außenpolitiker.

André Schiffrin Verlage ohne Verleger
Über die Zukunft der Bücher.
Mit einem Nachwort von Klaus Wagenbach.
Berlin: Wagenbach, 2000.
126 S.; brosch.
ISBN 3-8031-2387-9

Rezension vom 12.03.2001

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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