#Prosa

Vom Heimweh der Sesshaften

Günter Eichberger

// Rezension von Kurt Hofmann

Reisefieber: ein Wort, das üblicherweise euphorisch verwendet wird, aber so, wie die Euphorie im eigentlichen Sinne das letzte Aufflackern des Todkranken vor dem Exitus ist, kann man naturgemäß das Reisefieber als einen Zustand des Halluzinierens, also des Nichtbegreifens sehen.

Günter Eichberger hat in seinem Text „Unsere unglaublichen Reisen“ diesen Weg gewählt. Der Titel ist wörtlich zu nehmen. Unglaublich: das heißt, den Zweifel am als gegeben Betrachteten zuzulassen. Wenn einer eine Reise tut, dann kann er nichts erzählen: die Annahme, daß von A nach B zu reisen, schon Weltläufigkeit bedeutet, wird von Eichberger bestritten. Konsequent wird die Klischeesprache des Protzertums von Eichberger demontiert, von ihrer angemaßten Bedeutung in ihre ursprüngliche Bedeutungslosigkeit zurückverwiesen: „Als ich irgendwann dort und da war, hat man mir mein gutes Geld in Engerlinge umgetauscht. Die sind dort das offizielle Zahlungsmittel. Nach ein paar Tagen haben sich die Engerlinge in Maikäfer verwandelt und waren somit wertlos. Ich mußte auf der Straße betteln, um nicht Hungers zu sterben. Aber es war eine Erfahrung, die ich nicht missen möchte.“ (S. 18f.) Die nicht zu missende Erfahrung als Wert an sich, die Leerformel als Fahrkarte des Reisenden um jeden Preis.

In der anschließenden Erzählung „Seppuko“ ist von jenem als „Harakiri“ besser bekannten rituellen Verfahren der Selbsttötung zwar die Rede, doch weder werden der Freitod noch dessen Ursachen thematisiert. Es spricht ein Gott, der von seiner Vergangenheit als Samurai, Kamikazekämpfer, Schauspieler und von seiner Gegenwart als Trinker berichtet. Ein Zwitterwesen, welches, äußerlich ein Mann, durch ein besonderes, in seiner Göttlichkeit bedingtes Verfahren der Reinkarnation immer wieder den sogenannten Mutterfreuden entgegensieht: „Ich möchte ein gesundes Kind gebären. Wahrscheinlich wieder mich.“ (S. 62)

Eichberger hat mit dem Schauplatz Japan und dessen hermetischen System voll hehrer Begriffe, durch Jahrhunderte nicht hinterfragt oder gar bezweifelt, ein geeignetes Objekt für seine Methode der Auflösung von „Selbstverständlichkeiten“ durch die Salzsäure Sprache gefunden: „Einen Seppuko darf man nicht überstürzen. Die Schande, beim Seppuko zu versagen, würde ich nicht überleben“ (S. 69). Zum anderen, daß, wenn die allzeit sicheren Werte einschließlich der eigenen Gottheit möglicherweise allesamt versagen, immer noch ein warmes Plätzchen zum Verweilen bleibt: „Hab ich Heimweh. Nach dem Nichts.“ (S. 62)

Günter Eichberger Vom Heimweh der Sesshaften
Multiple Prosa.
Graz, Wien, Köln: Styria, 1998.
139 S.; geb.
ISBN 3-222-12626-7.

Rezension vom 24.02.1999

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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