#Sachbuch

Von der ersten zur
letzten Hand

Bernhard Fetz, Klaus Kastberger (Hg.)

// Rezension von Sabine Zelger

Zusammengefaßt in einem schönen bunten Buch werden Leistungen und mangelhafte Leistungen auf dem Gebiet der Edition hauptsächlich österreichischer Literatur präsentiert. Faksimiles von Handschriften, Skizzen, Drucke, Umschriften, Zeichnungen dokumentieren anschaulich eine Vielfalt von Produktionsprozessen, die von AutorInnen und deren HerausgeberInnen angezettelt wurden. Jeder legte Hand an, und wo er das tat, und wie er das tat, macht die vorliegende Publikation verschiedentlich nachvollziehbar.

Zum einen wird über das vielseitige und großzügig gestaltete Bildmaterial im DIN A4 Format das literarische und editorische Arbeiten auch sinnlich vermittelt: Und es ist ein Genuß, seinen Blick über die Wiedergaben der Schriftmaterialien streifen zu lassen und sich damit Einblick in die eminent produktiven Werkstätten literarischer Produktion zu verschaffen. Andererseits ergibt sich aus den Berichten über die Publikationspraxis quasi eine Chronik wichtiger Editionen, mit Verweisen auf Verdienste und Versäumnisse, mit technischen und theoretischen Überlegungen. Die germanistische Feldfahrt führt von Huldigungen und Kritik früherer Ausgaben vor allem auch zu aktuellen und zukünftigen Projekten, die über andere Mittel und insbesondere über ein verändertes Selbstverständnis verfügen. Die Spuren des Paradigmenwechsels in den Editionswissenschaften dokumentieren nicht zuletzt aber auch die Kämpfe im literaturwissenschaftlichen Feld. Diese treten umso mehr in den Vordergrund, als im vorliegenden Band meist die HerausgeberInnen selbst zu Wort kommen und sich dieses Wort frei und offensichtlich ganz verschieden zurechtlegen. Schließlich geht es bei den Fragen der Edition stets auch um Werte, Hierarchien, Maße, die mittels aufwendiger oder flotter Ausgaben – und damit stets neuer Verortung eines Autors, einer Autorin im literarischen Feld – die Macht der Geld- und HerausgeberInnen verdeutlichen und ausbauen.

So bestätigt etwa der Leiter der Handschriftensammlung der Wiener Stadt- und Landesbibliothek Hermann Böhm das Ausgabeprinzip eines wichtigen Grillparzer-Herausgebers, nach dem „entweder … ein Schriftsteller eine kritische Ausgabe wert (ist) oder nicht. Das ist die einzig richtige Ansicht.“ Wer aber bemißt den Wert? Hat wer ein Vetorecht? Und was, wenn Geldmittel oder Auftraggeber nicht vorhanden sind? Jedenfalls ist der Umkehrschluß nicht zulässig. Von Karl Kraus fehle bislang nicht nur jede historisch kritische Ausgabe, es wurde, so Böhm, von Forschung und Verlagswesen noch gar nicht ernsthaft darüber dikutiert. Andererseits erscheine es aber manchmal vordringlicher, schreibt der Leiter des Österreichischen Literaturarchivs Wendelin Schmidt-Dengler, statt an kritischen Ausgaben an verläßlichen Texten mit Kurzkommentaren, an sogenannten Leseausgaben zu arbeiten, um die Werke im Gespräch zu halten oder überhaupt erst bekannt zu machen. In diesem Sinne empfiehlt etwa Archivar B. Fetz vorerst einmal eine „Konstitution des Gesamtwerkes“ von Albert Drach, da der Autor immer noch nicht die ihm gebührende Aufmerksamkeit erhält.

Wenn man dazu übergeht, vom Wert von Texten statt vom Wert von Autoren zu sprechen, wird die Herausgabe von „unvollständigen“ Bänden opportun. Dabei genügt es, die Kriterien für die Auswahl darzulegen und zu argumentieren, statt dreist am „Wert“ des Schriftstellers mitzuschreiben. Keiner will mehr, wie F. Torberg bei den Texten Herzmanovsky-Orlandos, in den Manuskripten des Schützlings „herumkorrigieren“, um ihnen die eigenen ästhetischen Vorstellungen und Ideologien zu verpassen. Heute gibt es Grenzen für die Eingriffe der HerausgeberInnen und deren Übertretung gilt allgemein als Verletzung eines Tabus. Gleichzeitig hat man sich aber auch von der Vorstellung gelöst, dass die exakte literarische Publikation nur in einer Form möglich sei, ja man geht überhaupt von diesem Exaktheits-Begriff ab: Für gewöhnlich gilt die Regel, daß Edition stets Interpretation miteinschließt. Anhand aktueller Auslegungen und Ergebnisse der Forschung wird argumentiert, warum der Text in einer bestimmten Form publiziert wird oder – fehlen die Mittel – publiziert werden sollte. Insofern haben sich auch die Postulate nach Vollständigkeit und Originaltreue verändert.

Das wird vor allem bei den werkgenetischen Ausgaben deutlich, wo einzelne Texte mit sämtlichen Entwicklungsstufen und Varianten ediert werden und mit dem literarischen Prozeß auch die ästhetischen Qualitäten überprüfbar machen sollen. Durch solche Publikationen werden den LeserInnen zusätzliche Möglichkeiten zum Verständnis und zur Interpretation der Literatur geboten, die freilich andere Zugänge zum Werk verschütten können. Mehrere Beiträger warnen denn auch bereits vor einem „Handschriftenfetischismus“ (B. Fetz) oder vor positivistischen Zugangsweisen, wo nur mehr jenes wahrgenommen werde, was verfügbar ist (Th. Eder, K. Kastberger). Wenn sich die genetische Editionspraxis bei jenen Texten, die als unabschließbar gelten oder deren Varianten als gleichwertig mit der Endfassung angesehen werden, als unumgänglich erweisen, so stellen sich dadurch vor allem Fragen nach dem Umgang mit der Masse von Textmaterial und deren Darstellbarkeit. Die Ökonomisierung bei WissenschaftlerInnen und der Erkenntnisgewinn nach dem Lustprinzip für „unsystematisch Streifende“ würden aber allemal die Präsentation der Textfülle rechtfertigen, so Annette Steinsiek und Ursula Schneider, die an einem CD-Rom Gesamtbriefwechsel Christine Lavants arbeiten. Für „alle, die das Medium Buch schätzen“, werde es allerdings auch einen gedruckten Auswahlband geben. Damit soll wohl auch der Spagat zwischen wissenschaftlicher Grundlagenarbeit und Angeboten für AmateurleserInnen geschafft werden, was durchaus nicht eine Anbiederung an allfällige Marktgesetze bedeuten muß.

„Es kann keinen Markt für Waren geben, wenn es keine Waren für den Markt gibt“, schreibt Wendelin Schmidt-Dengler in seinem Beitrag „Der präzise Abschied vom Definitiven“. Man muß sich eben um beides kümmern – um Angebot und Nachfrage – will man Ergebnisse der Forschung produktiv für viele LeserInnen und die Rezeption produktiv für die Forschung machen. Ob allerdings bei der derzeitigen österreichischen Dienstleistungsbetriebseuphorie und Gewinnmaximierungskultur noch Raum sein wird für die Erledigung solcher Aufgaben, wird man sehen. Im vorliegenden Band ist jedenfalls von einer Fülle von Vorhaben und neuen Projekten zu lesen. Möglicherweise wird öffentliches Geld auch in der nächsten österreichischen Zukunft in diese ersten und letzten Hände investiert – oder in ganz andere? Vielleicht kommt es dem Staat aber auch wirtschaftlicher vor, wenn sich Versicherungen und Banken ihre Sponsoraktivitäten brav zwischen Raimund und Jandl oder zwischen Grillparzer und Kraus aufteilen. Damit könnte die öffentliche Hand als eine der vielen an literarischer Produktion beteiligten Hände eingespart werden, in deren historisch veränderte Tätigkeiten das vorliegende Buch auf durchwegs spannende Weise Einblick verschafft.

Bernhard Fetz, Klaus Kastberger (Hrsg.) Von der ersten zur letzten Hand. Theorie und Praxis der literarischen Edition.
Wien, Bozen: Folio 2000.
175 Seiten, gebunden.
ISBN 3-85256-155-8.

Rezension vom 19.03.2001

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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