Eine verknapptere Darstellung kann vom Inhalt der Voraussetzungen nicht gegeben werden. Unter dem Vorzeichen des nämlichen, donnernden Auftaktes und auf einem sehr verschlungenen Weg zum genannten Schlußstrich, der gleichwohl immer halb erahnbar bleibt, unternimmt Czernin einen Streifzug durch das Unterholz der philosophischen Vorraussetzungen dichterischen Schreibens, wie der Titel ihn sehr treffend verspricht. Daß es sich bei den geschilderten Überlegungen vor allem um die Vorraussetzungen seines dichterischen Schreibens handelt, wie allgemein er seine Begriffe auch gebrauchen mag, nimmt man ihm nicht übel: Die entwaffnende Ehrlichkeit, mit der er zu Werke geht, ist wesentlich mehr, als man sich von den theoretischen Werken aus der Feder der Praktiker üblicherweise erwartet.
„Entwaffnende Ehrlichkeit“ will in diesem Zusammenhang aber nicht heißen, Czernin habe an irgendeinem Punkt des schmalen Bändleins irgendeine seiner recht körperlosen Stimmen in naiven Unmittelbarkeits- oder Dichterpriesterphantasien schwelgen lassen. Im Gegenteil: Hochelaborierte Satzgebilde türmen diese Herrschaften da auf, immer wieder einmal in ihren Diskursen auf die eine oder andere Art die Ausgangsfrage nach dem Erkenntniswert des Lyrischen streifend (und somit die Frage nach der Möglichkeit sprachlicher Erkenntnis überhaupt). „Entwaffnende Ehrlichkeit“ steht hier für Czernins Unterfangen, ähnlich dem Gefangenen in der „Schachnovelle“ sowohl die Sache des Positivisten als auch die des kritischen Theoretikers (im Fall des ersten Dialoges) ganz rückhaltlos zu vertreten. Obwohl wir natürlich in allen vier Gesprächen erahnen können, hinter welcher der beiden Charaktermasken sich „Czernin selbst“ verbirgt (was auch immer das in Zeiten wie diesen bedeutet, in denen etwa das ethnologische Institut der Uni Wien seinen StudentInnen per Beschluss den Gebrauch des Wortes „Identität“ ohne Anführungszeichen untersagt), haben wir nie das Gefühl, daß die andere nur „heiße Luft mit Stichworten“ verdecke.
„Entwaffnende Ehrlichkeit“ bedeutet hier aber auch, daß Czernin es sich erlaubt, Sätze wie den abschließenden überhaupt zu verwenden: Nicht klein ist der Luxus heutzutage, der darin besteht, in nobler Unentschiedenheit zu verharren, ohne die ganzen Reihen an Implikationen und Sekundärfragestellungen zu ignorieren, die jede der vorgebrachten Grundpositionen nach sich zieht. „Ich bin mir all dessen bewußt, aber…“, sagen all diese trockenen Stimmen in ihren jeweiligen Jargons, ob sie von Engeln und Äpfeln reden, von den verschiedenen Erkenntnisbegriffen in Kunstrezeption und Wissenschaft oder von Lyrik nach Auschwitz (der vierte Text, „Dialog zu Heimrad Bäckers nachschrift“ bildet abgesehen vom – meines Wissens – einzig gelungenen Essay zu Bäcker auch einen sehr brauchbaren Kommentar zu Adornos berühmten Dictum).
Vom Allgemeinen zum Besonderen führt uns Czernin: Von der Frage nach der Vereinbarkeit von wissenschaftlichem Weltbild und „angemessener“ Lyrikrezeption (wobei diese grobe Verknappung nicht annähernd die letztendliche Wucht der Probleme wiedergibt, die Czernin hier als die „eigentlichen“ herausschält), wie „Der Andere“ sie „dem Einen“ stellt, über zwei Annäherungen an die „Wirklichkeit“ der visionär geschauten Engel und Dämonen Swedenborgs sowie die Bedeutung, die aus ihr für die „Wirklichkeit“ von Äpfeln bzw. dichterischen Ideen erwächst, bis schließlich zur Frage nach der Literarizität der nachschrift Bäckers, die hier auch die unbescheidene Frage nach der Möglichkeit einer wie immer gearteten gesellschaftlichen Bedeutung lyrischen Sprechens ist. An diesem Punkt schließt sich nicht nur der Kreis, und die Frage nach „Weltbild und Lyrik“ stellt sich erneut, an diesem Punkt erkennen wir schließlich auch, wie verflochten die Dynamik des Gesprächs die beiden Pole seiner Dialektik eigentlich dastehen läßt. Mit der Definition „Dichotomie=Antithese“ kommt man zumindest hier nicht weiter.
In der profunden Elaboriertheit von „Voraussetzungen“ liegt aber auch ein Fallstrick verborgen: Im empirischen Versuch ergab sich, daß drei von fünf eher überdurchschnittlich belesenen Testpersonen mit der Aufgabenstellung: „Schlage einen beliebigen Kapitel- oder Unterkapitelanfang auf, lies das Kapitel oder Unterkapitel, laß dir maximal eine Stunde Zeit und sag mir dann in eigenen Worten ungefähr, was drinnensteht!“ völlig überfordert waren.
Das Buch ist gut und ein – bei Swedenborgs Gott – lesenswerter Beitrag zu den zeitgenössischen Poetik- und den etwas veralteteren Ontologiediskursen, aber es erschwert dem nicht an dezidiert philosophischer Ästhetik geschulten Leser den Zugang – meiner Meinung nach unnötig: Indem der Satzbau sich an manchen Stellen vor allem des dritten Dialoges der Verknapptheit, vielleicht eher „Vertrautheit“ tatsächlicher mündlicher Gespräche annähert, ohne den verschachtelten Stil der zugrundeliegenden Sätze aufzugeben, wird der Leser zum Fischen in den Trüben Gewässern seiner Vorkenntnis der verhandelten Probleme gezwungen.
Fazit: Die Vorraussetzungen zu lesen ist viel Arbeit (möglicherweise etwas zu viel), dafür aber auch sehr befriedigend.