#Roman

Was bei uns bleibt

Didi Drobna

// Rezension von Helmut Sturm

Vielleicht ist es purer Zufall, dass einen Tag vor dem Verkaufsbeginn von Didi Drobnas zweitem Roman Was bei uns bleibt in der Ö1-Radioserie „Radiokolleg“ ein Beitrag zum Thema Kriegsfolgenforschung gebracht wird. Unter anderem wird darin berichtet, wie Traumatisierungen durch Kriegsereignisse nicht nur unmittelbar Betroffene ein Leben lang begleiten, oft müssen noch Kinder und Enkelkinder damit zurecht kommen. Drobnas Roman verdeutlicht die Spuren, die die Katastrophe des Krieges in allen Protagonisten des Romans bis heute hinterlassen hat.

Wir lernen die 84jährige Klara und den von ihr großgezogenen zweiunddreißigjährigen Enkel Luis kennen, wie sie im Jahr 2009 versuchen, auf ihrem alten Hof zurecht zu kommen. Es gibt viel Arbeit und zu allem Überdruss gerät Luis beim Heidelbeerpflücken in eine alte Tierfalle. Der 40jährige Horst und seine 12jährige Tochter Dora bieten in dieser Zeit ihre Hilfe an. Das wäre nicht weiter aufregend, würden die Ereignisse nicht vor allem bei Klara, aber auch bei Horst und Luis die Vergangenheit heraufbeschwören. Am meisten erfahren wir dabei von Klara, die als Ich-Erzählerin über ihr Leben von 1944 bis zum Kriegsende berichtet.

Didi Drobna wurde 1988 in Bratislava geboren, lebt aber bereits seit 1991 in Wien. In Was uns bleibt bringt sie nicht, wie viele Autorinnen mit Migrationshintergrund, neue Milieus und Orte in die österreichische Literatur ein, sondern erzählt ein Stück österreichischer Zeitgeschichte, das bisher noch kaum bearbeitet wurde. Die 1925 gebore Klara verlässt 1944 den elterlichen Bauernhof um sich den „echten Patronenfrauen“ in Hirtenberg anzuschließen, die in den Gustloff-Werken jeden Tag eine Million Patronen herstellen. Sie freut sich naiv über die ausreichende Kost und das bisschen Zuhause. „Ich hatte wenig, aber es war mehr, als die meisten hatten.“

Anschaulich werden die Produktionsbedingungen und das ausbeuterische Arbeitsverhältnis vorgestellt. Wir erfahren von der Angst vor Luftangriffen – die Hirtenberg beinahe gänzlich erspart blieben ­– und vom 28. September 1944, als das Waffen-SS-Arbeitslager Hirtenberg, das Weinberglager, zunächst mit 391 Frauen aus dem KZ-Auschwitz eröffnet wurde. Die meist recht jungen Frauen wurden von SS-Männern und SS-Aufseherinnen bewacht und über einen Waldweg zu den unterirdischen Produktionsstätten auf dem Lindenberg gebracht. Hier waren sie dann die Arbeitskolleginnen von Klara und den anderen „Hirtenbergerinnen“. Die Beschreibung der inhumanen Zustände lässt Leserinnen und Leser genauso verwundert zurück wie Klara, die bei einem letzten Besuch von Hirtenberg mit ihrem Enkel respektive Ziehsohn vergeblich Ausschau hält „nach Gedenktafeln, Schildern, Hinweisen auf die Vergangenheit. Sie fand keine. Der ganze Ort lebte ohne Erinnerungszeichen.“ Die „Hirtenberger Patronen-, Zündhütchen und Metallwarenfabrik AG“ hat 2019 bekannt gegeben, aus der Produktion von Munition auszusteigen.

Klara verliert den Vater an der Ostfront, erlebt die menschenverachtenden SS-Aufseherinnen und SS-Männer und den Abtransport der Zwangsarbeiterinnen aus dem Arbeitslager nach Mauthausen. Didi Drobna hat ja kein Geschichtsbuch geschrieben, sondern einen Roman, aus dem man eine Menge über Geschichte und ihre Folgen lernen kann, es ist allerdings fraglich, ob ihre Lösung, so von diesem grausamen Marsch zu erzählen, eine gelungene ist. Drobna lässt Klara dem Zug der Gefangenen folgen und sich ihnen gewissermaßen anschließen, um von diesem Todesmarsch zu berichten. So authentisch die Beschreibung der Zeit in Hirtenberg wirkt, so wenig kann man glauben, dass das Chaos und der Terror der letzten Kriegstage so von Klara erlebt wurden.

Offensichtlich ist Drobna bei ihren Recherchen auch auf eine unglaubliche Fluchtgeschichte eines siebenjährigen Mädchens in den letzten Kriegstagen gestossen, die sie der Mutter von Horst zuschreibt. Klaras Nachbar lebt allein mit seiner Tochter, die oft unnahbar ist, neben dem Friedhof. Er leidet unter den Traumata der Mutter und noch seine Tochter ist davon betroffen. Alle Figuren kennen den frühen Tod von Angehörigen, das Verlassenwerden und Alleinsein. Die Wurzel ihrer Probleme gehen tief zurück in die Zeit des Weltkriegs und werden nur selten sichtbar, wenn die allgemeine Verdrängung Risse bekommt.

Didi Drobna hebt Ereignisse ins öffentliche Bewusstsein, die bekannt sein müssen, um eine Heilung zu ermöglichen, das ist ein Verdienst, auch wenn der Ton des einfachen Bauernmädchens Klara mitunter etwas aufgesetzt wirkt. Etwa wenn sie festhält: „Die Partitur meines Lebens: getaktet durch Familie, Arbeit und Glaube.“ Apropos Glaube: So äußerlich begegnet er selten und die immanenten Herausforderungen der Theodizee hätten durchaus etwas Wut und Zorn erlaubt.

Didi Drobna Was bei uns bleibt
Roman.
München: Piper, 2021.
257 S.; geb.
ISBN 978-3-492-07052-2.

Rezension vom 07.09.2021

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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