Am Beispiel feministischer Autobiografik (ausgelöst und initiiert durch die eigene Erfahrung der Autorin im „systemtheoretischen Kulturexperiment“ (S. 15) RAUM-STATION 001 in Wien) gelingt es Sibylle Moser, die genannte Lücke zu schließen, wobei sie den häufig „konzeptionslosen Methodeneklektizismus“ (S. 20) und das Theoriendefizit auf Seiten feministischer Literaturwissenschaft konstruktivistisch behebt, und umgekehrt für den Konstruktivismus jenen gesellschaftspolitischen Anspruch einfordert, für den die feministische Debatte einsteht.
Noch immer sei die feministische Literaturwissenschaft zu sehr an traditionellen Ansätzen orientiert, indem sie sich primär auf Texte beziehe und häufig traditionelle erkenntnistheoretischen Grundannahmen über geschlechtsspezifische, authentische (weibliche) Erfahrung, autonom sprechende und handelnde (hermeneutische) Subjekte oder (eine als Substanz gedachte) Wirklichkeit unangetastet lasse. Eine Literaturwissenschaft (die Sybille Moser mit den Medienwissenschaften gleichsetzt), die empirisch-konstruktivistische Paradigmen berücksichtigt, könnte hingegen eine adäquatere Erfassung von Literatur im feministischen Kontext leisten, indem sie – in diesem Falle – Autobiografien innerhalb der kognitiven (Bewußtsein), der sozialen (Kommunikation) und der medialen Ebene (Medien) als „kommunikative Handlungsstrategien“ (S. 48) begreift und nicht bei der Textkritik stehen bleibt.
Mit der Erfassung der Wirklichkeit als (diskursives bzw. durch Diskurse gestaltetes) Konstrukt schließt Sibylle Moser auch an die aktuelle sex/gender-Diskussion der (feministischen) Kulturwissenschaften an, ohne sich jedoch zu voreilig dem postmodernen Schluß anzuschließen, „dass es sich bei der Konstitution des Geschlechts ausschließlich um eine diskursive Operation handelt“ (S. 68), und ohne sich in Letztbegruendungsdebatten zu verheddern, die dem Konstruktivismus ohnehin fremd sind.
Sehr positiv ist, daß sich das Erkenntnisinteresse der Verfasserin nicht im Wahrheitsgehalt der Theorie erschöpft, sondern die Operationalität derselben berücksichtigt, das heißt der Frage nachgeht, „wie weit man mit systemtheoretischen Modellen bei der Lösung spezifischer Probleme kommt“ (S. 160). Das Kapitel 5 setzt diesen Anspruch, indem es „Anwendungsorientierungen“ vorschlägt, auch um – und hätte daher meines Erachtens auch eine andere Überschrift als „Nachbemerkungen“ verdient.
Wohltuend sind auch die zusammenfassenden Ausführungen konstruktivistischer Paradigmen mit ihren Grundlagen (der Bioepistemologie Maturanas beispielsweise) im Kapitel 2, das dieses Buch – im Gegensatz zu einigen anderen von Seite der Konstrutkivisten – auch für konstruktivistische AnfängerInnen verständlich macht. Somit sei die Lektüre dieses Buches allen LiteraturwissenschaftlerInnen dringlich anempfohlen.