#Lyrik

Weissbuch

Raoul Schrott

// Rezension von Nicole Katja Streitler

Schon der Titel von Schrotts neuem Gedichtband ist irritierend. Weil er einen Rechtschreibfehler enthält -in alter wie in neuer Rechtschreibung. Dann, weil doch ein Weißbuch [sic!] eine neutrale Auflistung, eine amtliche Offenlegung ist und Schrotts Gedichtband das alles nicht ist. Vielmehr ist es ein Gedichtband in einem weitgehend traditionellen Sinne, mit Gedichten in einer schönen Vershaut und dazwischen geschalteten ‚realen‘ Tagebuchnotizen des Autors. Ein Logbuch seiner Reisen und Lektüren. Jeder Tagebucheintragung antwortet ein Gedicht, das diese gewissermaßen lyrisch verarbeitet. Ein einleitender und ein abschließender Essay Über das Heilige, die Jagd und die Frau umrahmen den Band.

Schon der Titel dieser Essays verrät, dass es darin um Grundsätzliches geht. Schrott betreibt ein bisschen Etymologie und versucht die Verwandtschaft der Begriffe ‚Heiliges‘, ‚Licht‘, ‚Atem‘ und ‚Wirklichkeit‘ nachzuweisen. Der Band ist in sieben Stücke geteilt. Auch sie tragen hehre Titel, die an Petrarcas Trionfi gemahnen, aus denen die Mottos der sieben Stücke stammen: „Triumph des Todes“, Triumph des Hungers“, „Triumph der Reinheit“, „Triumph der Liebe“, „Triumph der Zeit“, „Triumph der Ewigkeit“. Im abschließenden Essay „Über das Heilige, die Jagd und die Frau II“ rekurriert Schrott auf problematische Vorstellungen wie jene, dass die Frau das Triebhafte personifiziere und für den Jäger Eros nur das interessant sei, was sich ihm entziehe, darin dem Heiligen verwandt. Und zuletzt erfahren wir sogar, wie der Dichter seinen Gedichtband gelesen haben möchte: „Auf der einen Seite steht das, was man im Notizhaften eines Tagebuchs sagen will, Worte, Halbsätze, die ein Ort, ein Ding, eine Idee umkreisen. Die Grammatik dessen, was sich auch wirklich sagen lässt, erhält es jedoch erst im Gedicht, durch dessen Form – sie steckt die Linie ab, hinter der man in den Dialog mit dem tritt, was ‚da ist, für sich, gegenwärtig‘, und trotzdem immer nur suggerierbar bleibt.“ „So bleibt ein Gedichtband letztlich immer eine Art Weißbuch, das Daten und Ereignisse festhält, die Ausgangsorte und Ziele nebst einer Spalte für persönliche Eintragungen: der Rechenschaft über die Jahre.“

Freilich gibt es auch Gedichtbände, in denen die Lyrik ohne so viel kommentierendes Beiwerk auskommt. Und Schrotts Gedichtband hätte sich vielleicht auch einiges an Erklärungen sparen können. Aber der Autor ist und bleibt nun mal ein Gelehrter und will das auch in dem neuen Buch unter Beweis stellen. Der Band bekommt durch den essayistischen und tagebuchartigen Kontext immerhin einen durchkonzipierten Charakter, wird gewissermaßen zu Konzeptlyrik.

Bleibt die Farbe Weiß. Auch sie könnte dem Band den Namen gegeben haben. Denn weiß ist vieles bei Schrott: Arme, Beine, Stores, Tempel, Salzgärten, Terrassen, Küsten. Viele seiner Gedichte sind dinggesättigt, lustbetont, farbig. Etwa das leicht ironische Szenen der Jagd V: „happy hour . der himmel aus curaçao zweifinger / hoch limettensaft dazu die amaretto-kirsche der sonne // der barkeeper gottes schüttelt nicht aber er rührt: / natürlich . doch dafür dekoriert er den abend mit strand // schirmen aus papier: na was hältst du davon auf / einmal mit mir gelandet zu sein an der theke der see?“
Allerdings ist dieses Gedicht nicht allzu charakteristisch für den Band. Selten sind darin die Liebesgedichte dieses leicht machistischen Stils, wie man ihn auch schon aus den Gedichtbänden Hotels und Tropen kennt. Artmann klingt da mitunter an, etwa im Gedicht Wildwochen IV, einem galoppierenden Dragoner-Liebesgedicht. Fremdsprachiges und Fremdländisches durchzieht die Texte, mit einer für den polyglotten Autor Schrott typischen Neigung für das gewählte (fremdsprachige) Wort, um das eine Art Kult getrieben wird. Formal findet sich da vieles, wobei der Autor ein eigenartiges Faible für das etwas alt wirkende Enjambement hat. Meist sind es Orte, die Stimmungen gerieren. So etwa im Gedicht L’infinito II: „daß die küste sich über alles hier erhebt / brachte mir dieses haus inmitten seiner hecken nahe / und den horizont um seine endgültigkeit / im gras der kuppe verlor jeder gedanke / sich im unermesslichen der weite / jenseits dieser hügel – ihrer urzeitlichen resignation / und der stille die auf den felsen liegt / abseits menschlicher möglichkeiten / für eine weile fand etwas in mir zur ruhe / und wenn wind aufkam und an den bäumen riß / war da nur schweigen es den stimmen anzugleichen / unaufhörlich teilnahmslos wie jahreszeiten / die erst in reichweite der hand lebendig werden / die wahl einzig alles hinter sich zu lassen / auf einem weg hinunter zu einem meer / das an seinen ufern noch jeden schiffbruch litt.“ Dem Gedicht entspricht die Tagebuchnotiz: „bishop’s luck, 2.2.04: und wieder leopardi, nachdem ich auch robert lowells version davon gelesen hatte; e il naufragar m’è dolce in questo mare.“ Darin wie im korrespondierenden Gedicht findet sich ein melancholischer Ton, den man bei Schrott sonst selten findet. Er bereichert den Band um etwas Wesentliches, um die Schwere, die Not tut, damit man sich auch ernst genommen fühlt von einem Autor, zumal von einem Lyriker.

Dennoch glaube ich nicht, dass Schrott mit dem vorliegenden Band, der mit dem Joseph-Breitbach-Preis ausgezeichnet wurde, etwas Bleibendes geschaffen hat. Zu unspezifisch scheint mir sein lyrisches Schreiben, zu formbewusst, so paradox das klingen mag, bei gleichzeitigem Mangel an individueller Formung.

Raoul Schrott Weissbuch
Gedichtband.
München: Hanser, 2004.
188 S.; geb.
ISBN 3-446-20540-3.

Rezension vom 29.11.2004

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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