#Anthologie

Weltbude

Gerhard Jaschke

// Rezension von Günter Vallaster

Wie es einem der originellsten und facettenreichsten Autoren und engagiertesten Vermittler, Förderer und Herausgeber der avancierten Gegenwartsliteratur und -kunst gebührt, gibt es zum runden Geburtstag von Gerhard Jaschke nicht nur eine Festschrift, sondern einen ganzen Reigen davon. Eröffnet wurde er eigentlich schon 2007 in der Literaturedition Niederösterreich mit der prächtigen, bibliophilen Werkschau „Anfänge – Zustände. Ein Lesebuch“, die – mit einem Vorwort von Julian Schutting versehen – einen sehr guten Überblick über das poetische Alphabet von Gerhard Jaschke vom Anagramm über Lyrik, Prosa, Scherenschnitt bis zur Visuellen Poesie und Zeichnung bietet.

Dem lyrischen Aspekt seines Schaffens mit all seinen kombinatorischen und permutativen Komponenten ist das kleine, feine Podium Porträt 44 (2009) gewidmet, zu dem Kurt Neumann ein wunderbares Vorwort beigesteuert hat, das unter dem treffenden Titel „Gerhard Jaschke: Archäologe und Enzyklopädist poetischer Grenzenlosigkeit“ eine profunde und kompakte Darstellung seines poetischen Universums liefert. Die Weltbude schließlich versammelt unveröffentlichte und verstreut in verschiedenen Anthologien und Sammelbänden veröffentlichte literarische Texte und Essays, poetische Miszellen, Gedanken und Notizen aus den vergangenen drei Jahren, „Ansammlungen“, um den Titel einer Ausstellungsreihe von Gerhard Jaschke und Ingrid Wald in ihrer Sommergalerie Unterretzbach im niederösterreichischen Weinviertel aufzugreifen. Als Sahnehäubchen respektive Obersgupf finden sich auch flockig-leichte Zeichnungen und trocken-pointierte Stempeltexte Gerhard Jaschkes über die ganze Weltbude verstreut.

Mit dem rosaroten Umschlag und dem schon fast trashig wirkenden dünnen grauen Papier liegt die Weltbude in der Hand wie ein Reiseführer und mit dem Rebus und der Collage, die das Cover zieren, ist das Reiseziel klar umrissen: Eine Insel, ja eine Rettungsinsel für die sprachmaterialbezogene Literatur, die sich seit über drei Jahrzehnten in der Kutschkergasse in Wien-Währing befindet und von Gerhard Jaschke zu einem lebendigen literarischen Biotop ersten Ranges gestaltet wurde. Durch ihn als Autor, durch das dort regelmäßig ablegende Hausboot „Freibord“, jene 1975 mit Hermann Schürrer gegründete Zeitschrift (ab 1977 auch Edition) für Literatur und Kunst, die von ihm bis zum heutigen Tage unermüdlich als Plattform für Sprachkunst weitergeführt wird und dadurch immer präzise anzeigt, wie weit das Wasser auf dieser Welt schon zum Halse steht; damit verbunden auch durch ihn als Ansammler vieler perlenhaltiger literarischer oder bildend-künstlerischer Flaschenpost: Fluxus, Concept Art, Anagramme, Kurzprosa, Lyrik, Dramolette, Visuelle Poesie – der Name „Gerhard Jaschke“ ist in diesem Zusammenhang angenehm assonant mit „Herwarth Walden“, dem Autor, Galeristen, Verleger und Herausgeber der wohl bedeutendsten avantgardistischen Zeitschrift des frühen 20. Jahrhunderts im deutschsprachigen Raum, „Der Sturm“.

Einer, der sich auf dieser Insel gerne einfand, war Josef Enengl, der einmal bei einem Besuch fasziniert feststellte: „Das ist ja eine Weltbude!“ Ein weiterer ist Lucas Cejpek, der eben diesen Satz, zitiert von Jaschke, neben vielen weiteren aus seinem Leben und seiner Erinnerung aufzeichnete, was eine autobiographische O-Ton-Spur ergab, die sich am oberen Seitenrand durch die Weltbude zieht wie die „Lichtzeile“ im Wiener „Flex“ – ein Saumpfad, der in die Weltbudenwelt führt und die Stichwörter liefert, von denen die thematischen und geographischen Felder, in denen sich Gerhard Jaschke bewegt, Seite für Seite abzweigen. Feld 1 ist Wien, das – wie sich’s für einen Wiener gehört – innig hassgeliebte, es „rostet hin im Ruin“ (7), von dort erfolgen Aufbrüche zu „befreundeten Inseln weltweit“ (30), zu Francesco Conz in Verona, Sammler und Archivist von allem was da fluxt und dadat, „Lebensmensch, Bonvivant, Stadtflaneur, Entdecker, Forscher, Robenwechsler, Weltenschöpfer, Schauspieler auf der Lebensbühne, im Antiken Theater zuhaus wie im living theatre“ (33). Längwil mal Breitwil geht es dann in die Schweiz, über Gipfel und Gipfeli nach Boswil, zum dortigen Künstlerhaus, dem Ortsnamen „Unterlöchli“ wird das niederösterreichische „Glaubendorf/Wetzdorf“ entgegengesetzt, und frei nach Unica Zürn geht es mit der ZUERNL im Gepäck weiter zu den Anagrammtagen in LUZERN. Dabei verzeichnet die Landkarte der „Weltbude“ nur eine Auswahl an Wirkungsstätten. Zu ergänzen wäre hier beispielsweise auch noch Gerhard Jaschke, der Tiroler, der an jedem 11.11. mit Helmuth Schönauer im Bierstindl-Stüberl in Innsbruck zur „Entenlesung“ lädt. Gegen Schluss des Buches taucht wieder Wien auf, „das untergegangene Wien / das verschwundene Wien / das verwunschene Wien / Wiener Weltwunder / Wiener Wunderwelt“ (165).

Dazwischen, darunter und darüber ist der Band bis zum Rand mit Beispielen aus der poetischen Schatztruhe Gerhard Jaschkes gefüllt: Anagramme, in denen etwa aus der „Wohnzimmergalerie“, aus dem „Gluecksschweinmuseum“, betrieben von Ilse Kilic und Fritz Widhalm in der Wiener Florianigasse „Wiens Geschluck um Muse“ (22) geholt wird, deftig Dialektales („wo ois gschissn is / muass do leiwaund sei“, S. 51), politische Lyrik wie der aus Schlagzeilen montierte Vers-Turm „Babel“: „… Der Abgrund / Kein Ende der Geiselnahmen / Mord und Totschlag …“ (23 f.) und Rhythmisch-Dichtes zwischen Prosa und Lyrik wie der ursprünglich in der Anthologie „Das große ABC-Buch“ (Das fröhliche Wohnzimmer-Edition 2007) erschienene alliterative Text aus Wörtern mit K („Kind kann Karriere kippen!“, S. 123). Poetisch-philosophische Farbreflexionen („ein fades rosa“, S. 56 f.) wechseln sich munter ab mit Betrachtungen der Fußballerei oder der alten und romantischen Beziehung von Literatur und Wein. Das ganze Spektrum eines Schriftstelleralltags wird essayistisch oder kurzprosaisch aufgefächert, von „Ach, wie schau ich heut wieder aus der Wäsch!“ (137), dem ersten Satz aus seinem Beitrag zu Erika Kronabitters Projekt „Morgengesichter. Verweilen im Gesicht“ (Bucher Verlag 2008) über „Allerlei Irrwege zum verrühmten Au!tor“, seinem Beitrag zu der von Sylvia Treudl herausgegebenen Anthologie „Wege zum berühmten Autor“ (Edition Aramo 2008), bis zum „Zug hält, was Wagen verspricht!“ (Beitrag zur Anthologie „In vollen Zügen“, Edition Aramo 2007) über das schriftstellerische Leben in mehr oder weniger vollen Zügen: „Im Zug schreibe ich am liebsten, lese ich am liebsten. Portionierte Bibliothek vor mir, in mir, alles so einigermaßen geordnet, überblickbar“ (173). Die „Weltbude“ ist für sich gesehen auch eine Bibliothek, wohl portioniert, einigermaßen geordnet, überblickbar. Das fehlende Inhaltsverzeichnis wird einmal als bewusste Weglassung angenommen: Wie in einem Bücher- und Zettelberg auf einem Schreibtisch soll gewühlt, geblättert, gestierlt und gustiert werden. Am besten ist das Buch ohnedies in einem Zug zu lesen. Nicht vergessen werden sollen dabei Jaschkes Würdigungen von SchriftstellerkollegInnen wie Lisa Fritsch und – in Versform – Manfred Chobot („Bester Dichter / unter den Surfern / bester Surfer / unter den Dichtern!“, S. 48) oder „die gugginger“, „im speziellen … johann hauser, oswald tschirtner, ernst herbeck, edmund mach“ (80). Und vor allem sein bewegender Nachruf auf seinen langjährigen literarischen Weggefährten Werner Herbst.

Im Grunde genommen ist jedes Buch von und über Gerhard Jaschke eine Festschrift, nämlich eine Festschrift für die Literatur. In diesem Sinne ist die Weltbude in Abwandlung des Buchtitels „Klar Schilf zum Geflecht“ von Hermann Schürrer eine „klar Schrift zum Fest“. Wunderbar!

Gerhard Jaschke Weltbude
Anthologie.
Wien: Sonderzahl, 2009.
190 S.; brosch.
ISBN 978 3 85449 308 2.

Rezension vom 20.05.2009

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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