#Sachbuch

Werter Genosse, die
Maliks haben beschlossen...

Hermynia Zur Mühlen, Upton Sinclair

// Rezension von Deborah Vietor-Engländer

Die Lilly Library der Indiana University in Bloomington hütet unglaubliche Schätze, und aus diesen ist der vorliegende Band entstanden, der „die besonderen Bedingungen von Übersetzung, Verlagsarbeit und Rezeption des in Deutschland in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts populärsten amerikanischen Schriftstellers dokumentiert.“ (S. 316)

Wieland Herzfelde und Upton Sinclair haben sich nie persönlich kennengelernt, aber ihr Briefwechsel dauerte fast dreißig Jahre (bis 1950), Sinclair starb 1968, Herzfelde zwanzig Jahre später. Der Briefwechsel zwischen den beiden Männern ging nach dem Bruch mit der dritten Briefpartnerin, Hermynia Zur Mühlen, weiter. Sie war es gewesen, die Sinclair 1919 aus Davos erstmals geschrieben hatte. Sie war diejenige, die sich ständig um die Verbreitung der Werke Sinclairs in Deutschland eingesetzt und zwischen 1921 und 1927 zwanzig seiner Werke übersetzt hatte.

1927 kam das böse Erwachen. Andere hatten ihn auf die mangelhafte Qualität der Übersetzungen aufmerksam gemacht. (S. 68) Diese Qualität ist nicht verwunderlich, wenn man ihre häufigen Krankheiten und ihr enormes Arbeitspensum in Betracht zieht (S. 94, S. 100) und ihre englischen Briefe sind oft so, daß man Fehler in Übersetzungen vermuten könnte. Das heißt, sie war nicht nur im Recht, obwohl sie sich entsprechend verteidigte. Sie gibt es im Fall von The Captain of Oil unumwunden zu („One of the books is badly translated“, S. 77). Aber es war durchaus gerechtfertigt, daß sie über den Umgang des Verlags mit ihr erbittert war, denn sie hatte mehr als jede andere für Sinclairs Werk getan. (S. 67) Upton Sinclair erscheint hier auch in einem etwas anderen Licht. Zum einen ist die Diskrepanz zwischen den englischen Originalbriefen und den deutschen Übersetzungen zu erwähnen, die deutschen Briefe klingen durchweg sehr viel herzlicher, freundlicher und glatter, in den Originalen wird Sinclairs Kälte wesentlich deutlicher, es geht dem Sozialisten vor allem um Rechte, Prozente und um seine eigenen Interessen. Er hatte allen Grund, Hermynia Zur Mühlen dankbar zu sein, macht sich aber große Sorgen, daß der Verlag ihn an sie vertraglich gebunden haben könnte (S. 108), für Boston will er zahlen, danach aber die zwei Prozent, die sie erhalten hätte, wieder für sich beanspruchen.

Als der Verlag ins Exil geht (ab etwa 21. März 1933 schreibt Herzfelde aus Prag), geht es Upton Sinclair vor allem um die Verbreitung seiner Bücher, wenn eine neue von der Regierung kontrollierten Leitung des Malik-Verlags in Berlin sie übernehmen will, will er sie gewähren lassen oder bei der Büchergilde Gutenberg in Wien veröffentlichen. (S. 199) Er fragt die neue Leitung nach seinen Tantiemen. (S. 199) „I feel that the question of getting circulation for the books is a matter which does not involve personalities.“ (S. 206) – notfalls mit Erlaubnis einer nationalsozialistischen Regierung, (S. 208) die ihn, Sinclair, zwar nicht liebt, Wall Street aber vermutlich noch weniger. Herzfelde bittet ihn, in den neuen Verlag zu investieren. Sinclair anwortet mit dem „großzügigen“ Angebot, wenn Herzfelde wieder in den Besitz der bereits gedruckten Bücher von Sinclair gelangen könne, würde er die Tantiemen aus diesen Büchern in die neue Firma investieren. (Aus Herzfeldes Antwort geht hervor, wie willkürlich und chaotisch Bücher damals beschlagnahmt wurden, S. 202). Sinclair war auch sonst nicht bereit, Exilanten zu helfen. Ein Schreiben von ihm ist abgebildet, in dem er allen bekanntgibt, er sei dazu nicht in der Lage und müsse sich um seinen Roman über die europäische Situation kümmern, denn das sei sein wirksamster Beitrag (S. 309). Dieser rote Faden zieht sich durch den gesamten Briefwechsel. Fesselnd ist der politische Austausch zwischen den beiden über Spanien (S. 234). 1938 bemühte sich Sinclair um konkrete Hilfe für Herzfelde und kabelte Stalin, um ihm die Einreise in die Sowjetunion zu ermöglichen (S. 243), letzterer entschied sich dann doch für die USA, mit Wehmut: „Der Abschied von der Sprache ist unter allen Schmerzlichkeiten die größte“, schrieb er (S. 245). Trotz eines Empfehlungsschreibens von Sinclair (S. 256) mußte er in den zweieinhalb Jahren zwischen Ende 1940 und Mitte 1943, wo die Korrespondenz außer Weihnachtsgrüßen aussetzt, eine unglaubliche Vielfalt von Tätigkeiten ausüben, um existieren zu können: „Forschungsarbeiten gemacht, einige Manuskripte für Dokumentarfilme geschrieben … im Layout des Magazins Friday gearbeitet … ein Buch über Klee gemacht, dann mußte ich mit scheußlichen Reproduktionen … hausieren gehen und schließlich habe ich damit begonnen, Briefmarken aus der Sammlung meines Sohnes zu verkaufen …“ (S. 266) Triftiger läßt sich das Überleben im Exil kaum beschreiben. Nach dem Krieg ist Sinclairs letzter erhaltener längerer Brief wiederum eine Wahrung seiner Rechte: „Ich möchte nicht alle deutschen Rechte an meinen früheren Werken auf unbestimmte Zeit abgeben. Ich behalte mir vor, Tantiemen zu verlangen, falls sich die Umstände ändern, und ich werde derjenige sein, der diesen Zeitpunkt bestimmt. Wenn Sie 5% bekommen, so sollte ich auch 5% bekommen, wenn der Handel zwischen den beiden Kontinenten wiederhergestellt ist.“ (S. 291).

Dieser Briefwechsel bietet die Möglichkeit, Einblick in sehr komplexe politische Zusammenhänge zu nehmen, darunter auch Sinclairs Wahlkampf um den Posten des Gouverneurs von Kalifornien (S. 214, S. 360) aber es rundet auch ein persönliches Bild Upton Sinclairs – keineswegs immer zu seinem Vorteil. Herzfelde blieb ihm treu, es gab kein böses Erwachen wie für Hermynia Zur Mühlen.

Hermynia Zur Mühlen, Upton Sinclair Werter Genosse, die Maliks haben beschlossen…
Briefe 1919-1950.
Herausgegeben von Walter Grünzweig und Susanne Schulz.
Bonn: Weidle, 2001.
367 Seiten, gebunden, mit Abbildungen.
ISBN 3-931135-56-X.

Rezension vom 26.06.2001

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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