Der Mensch hat sich seiner Umgebung angepasst – nicht etwa umgekehrt. Er fliegt von Projekt zu Projekt, einmal in diese Stadt, dann in die nächste. Er ist kaum mehr in der Lage, die Städte durch mehr denn das private Detail zu unterscheiden. Dieses versinkt im globalen Geflirre des Immergleichen. Er rutscht durch das Linienraster der vielfach multiplizierten Schienen, Seile, Flüsse, Rohre, Kanäle, Straßen, Drähte und Höhen, welche die Stadt kartieren: In Wohnschachteln heute hier, morgen da hausend; in „Self-Storages“ seine privaten Besitzteile wie Ersatzteile globaler Konzerne lagernd. Niemand ist sesshaft, das soziale Umfeld ist permanent übereilt, damit überholt, um nicht zu sagen flexibel. Der Lebensweg richtet sich nach dem topologischen Muster, die Erwerbstätigkeit raubt auch Raum, nicht nur Zeit.
Waltraud Seidlhofer entwickelt in ihrer Kurzprosa wie ein fliessen die stadt eine sanfte Dystopie nicht etwa über die Metropolen der Zukunft. Sondern über eine Zukunft aus Metropolen. Aus Sicht eines anonymen Hotelbewohners weist sie den Leser in den Mesokosmos einer ubiquitären Städtelandschaft, in der die Natur zwar noch vorkommt, aber keine größeren Territorien neben der Menschenwelt behaupten kann. Netzartig ausgedehnt, eine Megalopolis reiht sich an die nächste, unterscheidbar nur in wenigen Details, ragt vielleicht eine Landzunge von natürlicher Urwüchsigkeit noch irgendwo hervor. Verirren kann man sich hier nicht; in der Ferne immer ein Turm, eine Skyline. Zwar tappen von der anderen Seite Tiere in von Menschen verlassene Brachlandschaften und mögen sich wieder vermehren – das aber sind nur verseuchte Regionen. In Wirklichkeit schwindet Land als Sand, der leise durch die globale Misswirtschaft tickt.
Im Netz aus Linien gefangen, sind Bilder aufeinander gestürzt. Ankommen ist tabu, das Partikulare, gar das Spezielle ist unterminiert. Und doch bleibt der Mensch der Mensch. Vereinzelt ein plötzlicher Aufbruch, die Suche nach etwas Bestimmten. Es ist die Ausnahme, nicht mehr die Regel. In der Sänfte des beständigen langsamen Wegs in diese Zukunft, den wir gemeinsam gerade beschreiten, liegt die große Gefahr, zu verkennen, dass, was normal wurde, nur normiert worden ist.
Seidlhofer schreibt eine beklemmende, kalt-schöne Stadtästhetik der gleißenden Sonne im Fenstermeer, die in Hotelzimmern reflektiert und bevor das Persönliche und Intime bestrahlt wird doch untergehen muss. Sie lässt viele Bilder ein, die wir eigentlich gar nicht wollen. Hier kann kein Mensch der Stadt mehr entkommen, während die Stadt grundsätzlich der Natur nicht entkommen könnte, wäre da nicht der Mensch, der sie unentwegt aufpumpt. Eine regressive Deterritorialisierung, in der das letzte Vertrauenssymbol nurmehr die kalte, gerade noch wiedererkennbare Front einer Architektur ist; als anonymer Wegweiser. Nicht mehr als trautes Zuhause.