#Roman

Wie Pinien

Gertrude Maria Grossegger

// Rezension von Sebastian Fasthuber

Späte Sprachfindung

Als Kind vom Vater klein gehalten, als Erwachsener vom Job fast aufgefressen, versucht in Gertrude Maria Grosseggers Roman Wie Pinien ein Mann seinem Leben in leicht fortgeschrittenem Alter noch eine Wendung zu geben. Indem er darüber schreibt.

Die Wurzeln für diese Geschichte liegen wieder mal in der Kindheit. Der namenlose Protagonist ist einer, der sich nicht so entfalten konnte, wie er es gebraucht hätte. Aufgewachsen ist er mit, nein, unter einem überstrengen Vater – ein Schuldirektor vom alten Schlag –, der zwar nicht körperlich gewalttätig war, aber ansonsten so ziemlich alles getan hat, um seinem verträumten Sohn zu zeigen, dass er für ihn zu wenig war. Und gesagt hat er es auch: „Er solle doch nicht andauernd aus dem Fenster stieren, ja, stieren sagt er, und so blöd schauen, er solle doch etwas Nützliches machen, der Tag sei zu kostbar (…).“

Und doch macht der Sohn später Karriere in der Wirtschaft. Alles gibt er für die Firma. So lang, bis er feststellen muss: Er hat auf seine Weise als Vater ebenfalls versagt, war er doch meist abwesend. Vom Aufwachsen seines Sohnes hat er nicht viel mitbekommen, der lebt inzwischen auf einem anderen Kontinent. Seine Frau hat ihn schließlich auch verlassen.

Die in der Steiermark lebende Autorin Gertrude Maria Grossegger schreibt über einen Mann in der Krise. Das Resultat ist keine larmoyante Prosa und auch keine Parodie auf Männlichkeit. Mit großer Ernsthaftigkeit begleitet die Autorin ihre merklich verkümmerte Hauptfigur dabei, wie diese versucht, ihrem Leben noch einmal eine Wendung zu geben. Der Mann ist bei der ersten Gelegenheit in Pension gegangen und hat nun viel Zeit, um sich endlich einmal selbst besser kennenzulernen und vielleicht auch seine Ängste in den Griff zu bekommen, die ihn vor allem nachts plagen. Er bekommt den Ratschlag, sein Leben aufzuschreiben – und befolgt ihn. Das ist verbunden mit einem Rückzug in ein karges Domizil, das in Italien zu verorten ist.

Er hat nie über seine Gefühle gesprochen und verfügt deshalb zunächst auch über keine Sprache dafür. Ja, es lässt sich sogar behaupten: Er muss die Sprache neu erlernen. Obwohl seine Ängst sich immer wieder melden, macht er langsam Fortschritte. Er lebt deutlich intensiver, indem er über sein Erleben und Empfinden Buch führt.

Die Sprache des Romans ist mal karg und eher schroff, wie es der Stimmung der Hauptfigur entspricht, dann wieder sinnlich, wenn ihn statt bösen ausnahmsweise gute Kindheitserinnerungen heimsuchen: „Kreischend, den aufspritzenden Schnee im Gesicht, wird das Kind den Abhang hinunterglühen, und glühend wird es sein, wie brennendes Abendrot, dann in der aufgeheizten Stube (…).“

Bisweilen geschehen rätselhafte, fast surreale Dinge. Man könnte auch von märchenhaften Elementen sprechen. Eine Türwächter taucht nachts im Domizil des Mannes auf. Ein Tänzer erweist sich als eine Art Coach/Guru. Es wirkt mitunter so, als würde sich der Protagonist die Welt um sich schreibend erfinden. Wer weiß, vielleicht sitzt er während seiner Reise die ganze Zeit in seiner einsamen Wohnung.

Wie Pinien schwankt zwischen erzählerischen Passagen und Innenschau, zwischen Lebenszwischenbilanz und philosophischem Roman. Diese Vielfalt in einem an sich schmalen Buch ist eine Stärke, erschwert die Lektüre jedoch bisweilen. Hat die Erzählung nämlich einmal Fahrt aufgenommen, so bremsen grüblerische Passagen den Fluss zum Teil empfindlich.

Der Roman, der keiner wirklichen Chronologie folgt, muss jedoch nicht zwingend von der ersten bis zur letzten Seite durchgelesen werden. Es ist durchaus ein gangbarer Lektüreweg, willkürlich durch das Buch zu springen und die einzelnen Kapitel als miteinander verknüpfte Kürzesterzählungen zu lesen.

 

Sebastian Fasthuber, geboren 1977 in Kirchdorf an der Krems. Studierte in Wien Vergleichende Literaturwissenschaft und Germanistik, Dissertation über Literaturkritik im Internet. Arbeitet seit 1999 als freier Kulturjournalist mit den Schwerpunkten Literatur und Musik für die Wiener Stadtzeitung Falter und zahlreiche andere Medien sowie als Moderator. Lebt mit seiner Familie in Oberösterreich und veröffentlichte 2019 den Stadtführer Wels (KRAL).

Gertrude Maria Grossegger Wie Pinien
Roman.
Klagenfurt/Celovec: Drava Verlag, 2024.
236 Seiten, gebunden mit Lesebändchen.
ISBN 978-3-99138-095-5.

Verlagsseite mit Informationen zu Buch und Autorin

Rezension vom 04.02.2025

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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