1937 war der damals 14jährige, Geborener Fürther, mit seinen Eltern vor dem Hitlerregime nach Argentinien geflohen, wo er später als Verwalter der Siedlungen der „Jewish Colonization Association“ des Barons Hirsch gearbeitet hatte. In diesen Siedlungen hatten nach der Jahrhundertwende vor allem Juden aus Rußland, die vor Pogromen geflohen waren, eine Chance auf ein besseres Leben erhalten. Nach 1933 kamen diejenigen hinzu, die vor Hitler geflüchtet waren.
Was sich an Siedlungen in Argentinien gebildet hatte, scheint – zumindest in den Erzählungen Schopflochers – das Muster des osteuropäischen Schtetls, lediglich unter veränderten klimatischen und ökonomischen Bedingungen, gewesen zu sein.
Während die Generation der Großväter, die die Pogrome selbst noch unmittelbar erlebt hat, die religiösen Traditionen hochhält (oder die Diskussionen der ersten Zionisten pflegt), wachsen die Enkel meist ohne umfassende Schulbildung als argentinische Bauern heran. Zwar gibt es keine Pogrome, aber die einheimischen Katholiken schätzen ihre jüdischen Einwanderer gering.
In den ersten beiden, in diesem Band zum erstmals veröffentlichten Erzählungen, versucht Schopflocher, die Vielfalt der Mentalitäten der jüdischen Siedler, die kleinen Geheimnisse, die jeder aus seiner Heimat in Europa mit sich herumträgt, und die Veränderungen durch das neue Leben in kleinen Schritten dem Leser nahezubringen. Dabei entstehen Figuren und Geschichten, die den Vergleich mit dem Werk Isaac B. Singers ohne weiteres aufnehmen können, denn Schopflocher erweist sich in seinen Erzählungen auch als ausgezeichneter Chronist historischer Ereignisse (u. a. die ablehnende Haltung Argentiniens gegenüber jüdischen Flüchtlingen nach 1933). Bei den übrigen vier Erzählungen liegt der Schwerpunkt weniger auf dem jüdischen Aspekt. Sie wirken insgesamt weniger persönlich, sondern scheinen vor allem für ein argentinisches Publikum geschrieben zu sein und gehen über den Rahmen des lateinamerikanischen Schtetls hinaus.
Die Sprache Schopflochers ist einfach, aber sehr einfühlsam; die Erzählungen lesen sich sehr leicht, man ist nach wenigen Sätzen gefangen in einem Sog, der einen direkt in die jüdische Siedlung zieht, die Ereignisse werden fast körperlich spürbar. Daß Schopflocher 50 Jahre lang nicht in seiner Muttersprache geschrieben hat, sie aber dennoch so meisterhaft beherrscht, ist eines der kleinen Wunder dieses Bandes.