Er umfaßt zehn Aufsätze zu Feuilleton, Literatur, Theater, Film, Werbung, Karl Kraus, Vicki Baum, Gina Kaus, Robert Müller, Arnold Schönberg, Hanns Eisler u.a., dazu ein spannendes „Dossier“ zu Stefan Großmann, bestehend aus vier Aufsätzen und bislang unveröffentlichten Briefen an den Meister, und schließlich vier „poetische“ Blicke auf die alten/neuen Metropolen. Abgesehen von dieser letzten Abteilung, in der m. E. allein der Text von Ginka Steinwachs überzeugt, sind die Beiträge spannend, intelligent und stilsicher. Der Band enthält außerdem eine Reihe von Dokumenten und Photographien, die sich nicht auf das Bekannte und Erwartbare beschränken (verblüffend: Gerhart Hauptmann in die Betrachtung von Stefan Großmanns Tochter versunken, die am Strand von Rapallo einen Handstand einübt).
Die Berlin- und die Wien-Bilder, beispielsweise die von Stefan Großmann, sind nicht nur Texte, in denen die Träume, Enttäuschungen und Hoffnungen sich mit der preußischen und habsburgischen Metropole verbinden, sonden sind auch die Bilder, die in Salon oder Schreibstube des Theaterkritikers und Herausgebers des Berliner Tage-Buchs hängen und verschoben werden. Die Porträts der Generäle Ludendorff und Hindenburg werden in den Kriegsjahren höher gehängt, um der Photographie einer schönen Wiener Schauspielerin Platz zu machen – in Großmanns Autobiographie kommentiert als „die erste, nicht abzuleugnende Niederlage Ludendorffs“. Aber natürlich gehen die Berlin- und Wien-Bilder nicht auf in dem Gegensatz von preußíschen Kriegsgöttern und einer Wiener Liebesgöttin.
Bei so gegensätzlichen Gestalten wie Großmann und Polgar, Freud oder Canetti scheint Berlin das „Gravitationszentrum“ (Schmidt-Dengler), das eine starke Anziehungskraft ausübte. Alfred Polgar sieht (während der Inflationszeit) in Berlin die Oase und in Österreich die Wüste. Für Großmann ist Berlin der Ort des sozialen Gewissens; Freud atmet dort freie Luft, und Canetti kontrastiert ein Wien, „in dem über so vieles gesprochen wurde“, das ihm nun „harmlos geschwätzig“ vorkam, mit einem Berlin, wo alles „geschah“.
Doch: Nicht alle zogen nach Berlin (so der Titel eines späten Essays von Heimito von Doderer). Die meisten der Berlin-Begeisterten, die es in die Preußen-Metropole zog, ließen ihr Rückreise-Billett nicht verfallen. Warum aber der Berliner Literat Ernst Lissauer, der seine „unmäßige Liebe“ zu Wien 1925 in dem Band Glück in Österreich erklärt hat und damit im Widerspruch zu den Intellektuellen und Künstlern seiner Zeit stand, seinerseits nicht nach Berlin zurückgekehrt ist und sich eine Heimat eher im Weltall erträumte, erklärt Hermann Schlösser in einem der lesenswertesten Porträts des beeindruckenden Bandes.