Und dennoch, so scheint es, hat Dor die Hoffnung nicht gänzlich aufgegeben. Sein jüngst erschienenes Buch entwirft ein Bild von Wien im Juli 1999, kurz nachdem die „Bewegung“ unter ihrem Führer Haselgruber die Macht übernommen hat. Die Stadt ist geprägt von der Ordnung der neuen Machthaber, Polizei und Ordnungstrupps durchkämmen die Straßen, die Menschen sind geteilt in solche, die bereit sind, der neuen Macht blind zu gehorchen, und jene, die in lähmender Angst davor erstarrt sind. Ausländer, Minderheiten und Oppositionelle haben keine Chance gegen die „herumwirbelnden Bilder“ der gleichgeschalteten Medien, die den Widerstand der Menschen schon im Keim ersticken.
In dieser Atmosphäre begegnet dem Leser Mladen Raikow alias Milo Dor, ein alter, müder und wohl auch schon etwas gebrechlicher Mann, der durch die Stadt wandert und sich durch die Szenen, die er erlebt, immer wieder in seiner Vergangenheit wiederfindet: „Was einmal wirklich war, bleibt ewig möglich.“ (Rabbi Menasse ben Israel)
Es ist unschwer zu erkennen, welche „Bewegung“ Dor in seinem Buch beschreibt, und es liegt auf der Hand, welche politische Entwicklung Österreichs er vorwegnimmt.
Mladen Raikow, Alter ego des Autors, hat zuviel erlebt, als daß er nicht wüßte, wovon er schreibt. Er war bereit, für seine politische und menschliche Überzeugung mit dem Leben einzustehen – und wurde verfolgt, gefoltert und zur Flucht gezwungen. Heute, im Wien des Jahres 1997, ist er müde geworden und desillusioniert. Manchmal denkt er zu Hause im Badezimmer bei rauschenden Wasserhähnen (um die in seiner Wohnung installierten Wanzen zu übertönen) zusammen mit seiner Frau laut über einen gemeinsamen Selbstmord nach. Aber dann steht Dor auf und schreibt ein Buch wie dieses. Weil ein Stückchen Hoffnung und Zuversicht geblieben ist, auch Idealismus im Glauben an die Menschen, die nach ihm gekommen sind. Mit ihnen wird er eines Tages gemeinsam auf die Barrikaden steigen, um seinen „Traum von einem freien, kosmopolitischen Wien“ und darüberhinaus von einer freien, kosmopolitischen Welt, gegen „unsichtbare, aber allgegenwärtige Feinde zu verteidigen“.