#Sachbuch

Willkommen. Literatur und Fremdenverkehr in Österreich

Wolfgang Straub

// Rezension von Evelyne Polt-Heinzl, Christine Schmidjell

Österreich ist eines der tourismusintensivsten Länder der Welt, Österreicher sein impliziert daher einen reichen Erfahrungsschatz mit der „Misere der Bereisten“. Wolfgang Straub, aufgewachsen in Zell am See, hat diese juvenilen Grunderfahrungen zum Ausgangspunkt seiner wissenschaftlichen Leidenschaften gemacht. Daß Leidenschaft im Spiel ist, zeigt die akribisch zusammengetragene Auflistung der „den Fremdenverkehr behandelnden oder ewähnenden Primärtexte“.

Sie umfaßt 164 Werktitel der österreichischen Literatur des 20. Jahrhunderts, der Autor hat sie für uns abgezählt, vielleicht ist Erich Kästners dazwischengerutschter „Kleiner Grenzverkehr“ nicht mitgerechnet. Dieser Sammlerfleiß ist umso beeindruckender, da die österreichische Literatur wider Erwarten keineswegs eine besonders tourismusintensive Nationalliteratur ist. Das mag damit zusammenhängen, daß der „Faktor Mensch“ in der Tourismus-Wahrnehmung erst sehr spät, lange nach ökologischen Bedenken, in den Blick geraten ist. Nur in zwei Ausnahmefällen, so resümiert Wolfgang Straub, und wohl nicht zufällig stammen die Autoren aus Tirol bzw. Salzburg, steht das Phänomen selbst im Mittelpunkt: Norbert Gstreins Roman „Einer“ aus dem Jahr 1988 und Walter Kappachers 1990 erschienener Band „Touristomania oder Die Fiktion vom aufrechten Gang“. In allen anderen Fällen wird Fremdenverkehr nur in einzelnen Passagen und Abschnitten thematisiert, deren Auffinden einigen Spürsinn verlangt. Der Grundton dabei ist von den Anfängen zu Beginn des 19. Jahrhunderts zumeist die deftige Tourismusschelte.

Beeindruckender noch als der quantitative Aspekt ist die fundierte inhaltliche Aufbereitung und Einordnung der literarischen Fundstücke in einen umfassenden „panoramatischen“ Blick auf das Thema. Einem kurzen Abriß zum Fremdenverkehr als Forschungsgegenstand, der im Abschnitt Literaturwissenschaft ein wenig gönnerhaft wirken mag, folgt eine kurze und prägnante Darstellung zur Geschichte des österreichischen Fremdenverkehrs. Die zentrale Rolle des Tourismus innerhalb der Ideologie des Wiederaufbaus in den fünfziger Jahren motiviert den Schwerpunkt, den das Buch auf die Literatur nach 1945 legt. Der Boom des sogenannten Kulturtourismus in den letzten Jahren – seit 1994 gibt es in Salzburg einen diesbezüglichen Fachhochschul-Lehrgang – schließt auch die Literatur mit ein, die hier immerhin im Mittelfeld rangiert. Literarische Wanderungen und Stadtführer, Events bei Dichtergedenkstätten und literarischen Handlungsorten oder sogar dichterbezogene Landesausstellungen haben Konjunktur und werden von der Branche erfolgreich zur Steigerung der Nächtigungszahlen eingesetzt.

Den Hauptteil des Bandes bildet die fundierte Analyse zu den Entwicklungslinien in der literarischen Beschäftigung mit dem Tourismus und vor allem die Fokussierung einiger besonders bildhafter, die Außenwahrnehmung wie das Selbstbild Österreichs prägender Topoi. Denn ein rein chronologischer Überblick, den uns der Autor nicht schuldig bleibt, kann zwar Informationen von enormer Dichtheit zusammenstellen, gerät aber allzu leicht in die Nähe bloßen Namedropings, wenn die Vielzahl der aufgefundenen Werke und Autoren als Kronzeugen des Behaupteteten herbeizitiert werden. Spannend wird das Buch dort, wo exemplarisch vier repräsentative Bild-Konstanten im touristischen wie literarischen Diskurs auf ihre Implikationen und Varietäten untersucht werden. Der Berg, das Alpine ist der erste dieser Topoi. Hermann Brochs Roman „Die Verzauberung“ tritt hier ebenso auf wie Hans Leberts „Feuerkreis“, Elfriede Czurdas „Kerner“, Werner Koflers abgründiger Bergführer, Christoph Ransmayrs Dorf Moor, das mit seinen verfallenen Hotels mit klingenden Namen wie „Bellvue“, „Europa“ oder „Grand Hotel“ als einstige luxuriöse Kurstadt definiert ist, und natürlich Elfriede Jelinek, deren Werk bis hin zum großen Roman „Die Kinder der Toten“ immer wieder den Begriff Heimat und damit auch deren touristischen Ausverkauf umkreist.

Der zweite Topos ist das Kraftwerk, mit dem aus der Perspektive Zell am See naheliegenden Schwerpunkt Kaprun. Ebbte der Boom der martialischen Kaprunromane Anfang der sechziger Jahre ab, wird das Thema Kraftwerk in der jüngeren Literatur, etwa bei Thomas Bernhard, Josef Winkler und Werner Kofler, durchaus wieder aufgenommen. Der dritte Abschnitt ist dem Schifahrer gewidmet. Er war in der Literatur – abgesehen von kleinen Episoden etwa bei Heimito von Doderer – lange Jahrzehnte primär Bestandteil der alpinen Trivialliteratur. Erst in den siebziger Jahren werden seine literarischen Spuren etwas dichter, angeregt vielleicht auch durch eine diesbezügliche Anthologie des Residenz Verlages im Jahr 1975. Eine Art Höhepunkt erlebt der Schifahrer als Protagonist dann in Norbert Gstreins 1992 erschienenem Roman „Das Register“. Gemeinsam mit Felix Mitterer ist Norbert Gstrein auch einer der Listenführer in der literarischen Bearbeitung des letzten hier ausgewählten Topos, das „Dorf Tirol“. Diese Kapitelüberschrift spielt auf die zentrale Polarisierung Stadt / Land an, die den „Tourismustexten“ von Anfang an eingeschrieben war. Daraus ließen sich eine Reihe weitere Topoi im literarischen Diskurs zum Thema Tourismus ableiten, die vielleicht einmal in einem Folgeband zu lesen sein werden.

Wolfgang Straub Willkommen. Literatur und Fremdenverkehr in Österreich.
Sachbuch.
Wien: Sonderzahl, 2001.
271 S.; brosch.; m. Abb.
ISBN 3-85449-186-7.

Rezension vom 17.10.2001

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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