#Sachbuch

Wittgenstein in Irland

Richard Wall

// Rezension von Evelyne Polt-Heinzl

Ludwig Wittgensteins erster Kontakt mit Irland fällt in das Jahr 1910, als er seinen damaligen Freund William Eccles in Coleraine, Derry, besuchte. 1934, 1936 und 1938 folgten weitere kürzere Aufenthalte. 1947, nachdem Wittgenstein seine Professur in Cambridge aufgegeben hatte, ging er wieder nach Irland und lebte und arbeitete dort – mit Unterbrechungen – bis 1949, und zwar in Redcross in Wicklow, am Rosroe Pier in Connemara, im Ross’s Hotel in der Parkgate Street in Dublin. Wittgenstein schätzte das ruhige Leben in Irland und war beeindruckt von der Schönheit der Landschaft.

„Die Arbeit des Philosophen ist ein Zusammentragen von Erinnerungen zu einem bestimmten Zweck“, heißt es in Wittgensteins Philosophischen Untersuchungen. Der österreichische Autor Richard Wall, der seit 1975 immer wieder für längere Zeit nach Irland kam und bereits in seinem 1996 erschienenen Band Steine Spuren Labyrinthe. Reiseskizzen von Venedig, Irland und Böhmen (Grosser Verlag) einen Essay über Wittgenstein in Connemara veröffentlichte, geht dieser Aufgabe des Zusammentragens in Bezug auf das Verhältnis Wittgensein – Irland mit Akribie und Sensibilität nach.

Für den Leser entsteht ein facettenreiches Bild, das aus verschiedenen, miteinander verwobenenen Ebenen besteht. Da ist einmal die Landschaft – so wie Wittgenstein sie sah, in Briefen und Gesprächen beschrieb und erlebte und so, wie Richard Wall sie etwa ein halbes Jahrhundert später vorfand und in den zahlreichen SW-Fotografien festhielt. Ein anderer Bereich umfaßt die Kontakte zu den Einwohnern. Das Bild etwa, das der einfache Fischer vom asketischen „Philosophen mit den Vögeln“ behalten hat, der Wittgenstein in seinem abgeschiedenen Haus am Rosroe Pier mit Heizmaterial, Milch und Eiern versorgte. Ganz anders das Bild, das seine irischen und englischen Freunde in ihren Lebenserinnerungen von Wittgensteins Irland-Aufenthalt zeichnen, und wieder anders und in sich durchaus widersprüchlich die Konturen der Selbstbeschreibung in Wittgensteins Briefen, die seine zwiespältigen Befindlichkeiten dokumentieren. Die verbissene Suche nach Abgeschiedenheit und Ruhe für seine Arbeit, wobei schon bellende Hunde zu Wutausbrüchen führen können, ist zugleich nicht frei von Verzweiflung und Ängsten, die von dieser absoluten Einsamkeit hervorgerufen werden.

Neben diesen unmittelbar auf Wittgenstein bezogenen Strängen berücksichtigt Richard Wall auch eine Reihe von Themen, für die Wittgenstein nur als Stichwortgeber fungiert. Der Leser erhält so eine Fülle anregender Informationen, zum Beispiel über den irischen Dramatiker Sean O’Casey, den Wittgenstein nicht mochte, über Dubliner Stadtgeschichte, über Jonathan Swift als Dekan der St. Patrick’s Cathedral und über die Überlebenschancen der irischen Sprache heute. In einem kleinen zweiten Teil des Buches beschreibt Richard Wall in drei Exkursen die Spuren, die Wittgensteins Irlandaufenthalt in der Literatur hinterlassen hat. Interessant vor allem der Beitrag über den phantastisch-intellektuellen (leider noch nicht übersetzten) Roman Saints and Scholars des marxistischen Literaturwissenschafters Terry Eagleton.

Richard Wall Wittgenstein in Irland.
Klagenfurt, Wien: Ritter, 1999.
208 Seiten, broschiert, mit Abbildungen.
ISBN 3-85415-260-4.

Verlagsseite mit Informationen über Buch und Autor

Rezension vom 16.11.1999

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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