#Lyrik

wortfest

Gerhard Jaschke

// Rezension von Helmuth Schönauer

Was des Duden-Institut für Belange der Rechtschreibung ist, ist Gerhard Jaschke für die Belange der Poesie. Er sammelt aktuelles Material, analysiert es nach poetischen Richtlinien und stellt die Analysen als poetische Konstrukte der Leserschaft zur Verfügung.

Ausgangspunkt für die jüngste Arbeit wortfest ist jene Liste mit den sogenannten „100 Jahrhundertwörtern“, die ein sechsköpfiger Sprach-Weisenrat für die Zeitungs-Redaktionen als Unterfutter zu diversen Millenniumsfeiern zusammengestellt hat.

Gerhard Jaschke greift diese absurde Liste dankbar auf und testet sie auf ihre Wortfestigkeit. Den Buchtitel wortfest kann man ja im Sinne von Tauglichkeit wie Wetter-fest oder Feuer-fest lesen, es liegt aber auch die Bedeutung eines Festes wie Schlacht-Fest oder Richt-Fest auf der Hand.
Während die Wörter aus der Jubiläums-Liste als Endlosband am Boden der Seiten dahinflirren, sind auf dem angestammten Lyrik-Platz die verschiedenen Gedichte und Spracharbeiten abgedruckt. Die Listen-Wörter haben allerdings die Paginierung abgedeckt, so daß man jetzt nach Schlüsselwörtern zitieren muß. Beispielsweise steht das Gedicht über die Konversation auf Seite „single-sex“.

Ausgangspunkt für eine lyrische Dusche kann bei Gerhard Jaschke letztlich alles sein: ein Kind, das die Hände nicht aus dem Gesicht nimmt, während es einen Wal anschauen soll, ein Lesezeichen, das sich in optische Reizwäsche verwandelt, ein Dichter, der verschiedene Stufen der Inkontinenz bewältigen muß, oder gar die unendliche Geschichte der permanenten Konversation.

„wir treiben konversation auf einem bescheidenen denkzettel“ (single sex).
Aus den Wortruinen sprießen nach Manier von Pionierpflanzen ständig neue Wortkulturen. Auffällig: je größer der Mist des Originals ist, umso erhellender klingen die daraus neu-geklonten Sentenzen. So wird etwa aus dem Tag und Nacht aus öffentlichen Mündern abgefeuerten Ruf nach mehr Tolerenz der bescheiden-realistische Wunsch nach „mehr toler / als anz“ (radar radio).

Die dritte Informationsleiste (neben den Jubiläumswörtern und den Gedichten) wird von den Zeichnungen und Skizzen Gerhard Jaschkes gebildet.
Da gibt es jede Menge Sterne, die sich aus der amerikanischen Flagge entfernt haben und ins Weltall gerückt sind, ein Lageplan, wie ihn Feuerwehroffiziere bei der Brandbekämpfung verwenden, ist einem Einsatz gegen Yeti gewidmet, eine Skizze zeigt die Abstrichliste, wie sie beim Zusammenstellen von Anagrammen anfällt, und immer wieder glucksen aus den Seiten fröhliche Gesichter, die mit ihrem anscheinend gepanzerten Gesichtschutz Bankomaten gleichen, denen die Schnauze eingehauen ist.

Gerhard Jaschkes wortfest entspricht den Anforderungen, die es sich selbst gesetzt hat: es ist ein lustig-unterhaltsames Wortfest mit festen Wörtern.

Gerhard Jaschke wortfest
Lyrik.
Wien: Das Fröhliche Wohnzimmer, 2000.
80 S.; geb.; m. Abb.
ISBN 3-900956-52-9.

Rezension vom 16.08.2000

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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