#Lyrik

Wortungen

Norbert Mayer

// Rezension von Helmuth Schönauer

Schon der Titel des Bandes lässt vieles offen. Es geht um W-ORTE, die in noch unerschlossenen Sprachgegenden gegründet werden, als Knoten-und Zielpunkte dienen und später einmal aufgegeben werden. Ein vorherrschendes Thema ist der Jahreskreis, das Gehen und Vergehen großer und kleiner Dinge mit unbestechlicher Ernsthaftigkeit.

Norbert Mayer, der sich als Lyriker lange verschwiegen hat, stellt in wortungen sprachpotent den Ablauf eines Jahres vor. In zwölf Sequenzen, die wohl dem Monatsabriss am Kalender entsprechen, werden Worte wie verschollene Bräuche ausgehoben, neu inszeniert, frisch verpackt und wieder beiseite gelegt.

Die Kapitel tragen Überschriften wie „planeten-schub & kehrt-getriebe“, „perrücken-verrücken“, „luna-schmalz im solar-plex“, „natur(trüb)-(ver)rauschen“, „dort“ oder „Notturno/s“. Schon daran lässt sich die Methode der Wortschöpfungen ablesen, die Begriffe entstehen allmählich, ihr Gerüst bleibt in Gestalt von Klammern und Bindestrichen bestehen – die Wörter erscheinen wie eingerüstete Häuser, bei denen der Beobachter teils aufs Ganze, teils auf den ‚Verputz‘ achtet.

Den zwölf Abschnitten sind jeweils luftige Zitate aus dem Universum der Lyrik unterstellt, zu lesen wie Passwörter, damit nur die Vorbereiteten und Eingeweihten den jeweiligen Sektor betreten. „manchmal muß man die dinge ’schwierig‘ sagen“ heißt gleich das erste Motto von T.S.Eliot.

Die Gedichte sind beim ersten Anblick graphisch konventionell gestaltet, im Zweifelsfalle gehen sie mehr in die Länge als in die Breite, stets soll der Eindruck bestehen, dass es sich um ein Gedicht handelt. Aber innerhalb dieser Form wird laufend nachgebessert, neu angesetzt, noch einmal gestartet. Eine Arbeit in behutsamen Rucken…
Oft ist es eine Erinnerung, die sich scheibchenweise allmählich zu einem Bild zusammensetzt, wie etwa das lust-begehrliche Gedicht vom Barock, wo offensichtlich eine Ministrantenseele sich in die erotischen Falten der barocken Putten hineinbetet. (35) Kindheit, Reisen, Bräuche, Freundschaften sind weitere Stationen, die auf diesem Erinnerungsparcours gestreift werden.

Auf der Suche nach dem Urgewicht der Wörter dürfen auch literarische Besonderheiten des Literaturbetriebes nicht fehlen. So wuchert etwa eine Lesung zunehmend in die Breite, bis völliges Unverständnis eintritt. (82) Aber auch literarische ‚Lourdes‘-Orte wie das Ohlsdorf des Thomas Bernhard oder das Sprachsalz eines Heinz D. Heisl in Hall treten als seltsam flackernde Koronen in Erscheinung.

Norbert Mayer Wortungen
Gedichte.
Innsbruck: Haymon, 2004.
127 S.; geb.
ISBN 3-85218-462-2.

Rezension vom 12.12.2004

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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