Um zur Spätmoderne zu gelangen, nimmt Görner gerne auch längere Zugangswege in Kauf. Motivische Brücken werden geschlagen, manchmal sind sie von fragiler Art: Gleich im ersten Aufsatz wird dem Bild des romantischen Wandersmannes nachgestellt, wie es sich prototypisch bei Caspar David Friedrich findet. Ein daran anschließender Exkurs über die ‚Exilierten‘ suggeriert ein Naheverhältnis zwischen dem Wandern und dem Auswandern, das einer genaueren Hinterfragung wert gewesen wäre.
Ungetrübt bleibt das Lesevergnügen an Görners Aufsätzen dort, wo sich diese mit weniger verfänglichen Themen wie der Idylle, dem „Ausdruckfieber“ oder dem Mythos auseinandersetzen. Die Spuren solcher Motive, an denen es der spätmodernen Literatur nicht mangelt, werden vom Autor zu eher kulinarischen Erkundungen genutzt. Seinen Höhepunkt erreicht diese leichtgängige und anschauliche Art des Schreiben in der Abhandlung „Zur Poesie der Fähre“. Um zum Problemfeld des „Übersetzens“ zu gelangen (das von Ungaretti über Bachmann bis hin zu Francis Ponge abgehandelt wird), expediert Görner den Leser in die griechische Unterwelt: Charon wartet am Ufer der Lethe und die Worte dienen fortan als Fährgeld.
Detailreiche Aufsätze hat Görner den Themenfeldern „Trümmerliteratur“ und „politische Lyrik“ (auch dies noch Teile spätmoderner Literatur?) gewidmet. Ersterer akzentuiert das Problem des Beginnes anhand kanonischer Texte von Heinrich Böll, Paul Celan oder Ilse Aichinger.
Zweiterer bringt ein Problem, dem sich die engagierte Literatur gegenübersieht, auf einen nicht eben schlechten, weil paradoxalen Punkt: Die Frage nach den Möglichkeiten der ästhetischen Bewertung rührt laut Görner an den Grundlagen des politischen Gedichts, weil in dieser Gattung nicht dasjenige zur Sprache kommt, was für das Bleiben geschaffen sei, sondern dasjenige, was abgeht und fehlt.
Eine interessante Neubewertung nimmt Görner auch hinsichtlich des Österreichers Josef Winkler vor. Dessen Dorfromane werden (zur wohltuenden Abwechslung) einmal nicht im Rahmen der „negativen Heimatliteratur“, sondern als neoexpressionistisches Zeugnis gesehen.
Starken Widerspruch dürfte die Einschätzung von Elfriede Jelineks Stück Wolken. Heim hervorrufen. Den Text als Musterbeispiel des „postmodern leichten Umgangs mit deutscher Tiefe“ zu bezeichnen, verstört umso mehr, als das Schreiben der Autorin bislang als paradigmatische Erscheinung jener späten Moderne galt, die Görner in seinem Titel führt.