Wendelin Schmidt-Dengler würdigt in seinem Nachwort die sensiblen Naturschilderungen Vogels und seinen Mut zur Einfachheit, der an der leitmotivischen Gedichtzeile „Es ist Schnee gefallen“ erläutert wird.
„Auch im Nebel/der Wälder/singen die Vögel/vom Leben/Im Rauschen/des Regens/klingen von Blatt zu Blatt/Melodien des Lebens/Im Rufe der Unken/aus dunklem Weiher/im Erdauswurf/des Maulwurfs/preist das Lebendige/immer das Leben/Auch im Nebel/der Wälder/im Glanz der Netze/gesponnen von Baum zu Baum/blickt dich der Gott an“.
„Im Nebel der Wälder“ ist eines jener Gedichte, die ganz in der Naturbetrachtung aufgehen. Tiere (Vögel, Unken, Maulwurf, Spinnen), Pflanzen (Bäume) und das lebenswichtige Element Wasser (Nebel, Regen, Weiher) werden als Gottes Schöpfung in Erinnerung gerufen. Die Geräusche der Natur preisen das Leben, denn: „das Lebendige preist immer das Leben“.
Der Mensch (zählt er nicht zu den „Lebendigen“?) stimmt in den Lobgesang des Lebens nicht ein, er kommt nur als Beobachter (der Natur) und Beobachteter (blickt dich der Gott an) vor. Diese ebenso sanfte wie kraftlose Position des Menschen, der weder mitmacht (singt nicht) noch eingreift (beobachtet nur), ganz an die Natur hingegeben, sich den kleinsten Tieren widmet, dieses Menschenbild ist angesichts des Holocaust im besten Falle (verständliches) Wunschbild. Es erinnert an Waggerls kleine Blumen und die emphatische Naturliebe, die man in Texten der Kriegsgeneration immer wieder beobachten kann: Anläßlich einer Umfrage zur Wehrmachts-Ausstellung „Vernichtungskrieg. Verbrechen der Wehrmacht 1941 bis 1944“ kam folgender Rat: „Zeigen sie lieber eine positive Ausstellung über das Leben. Nächstenliebe, Tierliebe, Liebe zur Natur. Schöne Fotos, schöne Malereien.“
Dieses Bedürfnis des Ratgebers nach „Schönem“ macht uns Nachgeborene zornig: Sechs Millionen europäische Juden und zweieinhalb Millionen nichtjüdische Opfer wurden während der Naziherrschaft ermordet; daß dies möglich war, dazu brauchte es viele aktive Täter und Mittäter, Spitzel und Zuschauer. Angesichts dieser Tatsachen zu sagen, daß „das Lebendige immer das Leben preise“ oder ein passives, ganz der Naturbeobachtung hingegebenes Menschenbild zu entwerfen, das kommt einem Affront gleich.
Alois Vogels Lyrik handelt aber nicht nur von Naturbeobachtungen; der Autor bemüht sich um political correctness.
„Wir verschwiegen es./Doch aufbricht die Frucht/eiternden Geschwürs./Schmach/nie zu löschen./Kein Autodafé/kein Stein und keine Schrift/kein Sand im Auge/des Nächsten/tilgt/Ausschwitz, Belsen und Treblinka.//Laßt es gut sein,/sagen die einen,/es wird langweilig,/die anderen,/wir wissen es schon,/alle. Das Leben/mit Butter ist selbstverständlich./Das Leben ist./Das Leben ist/selbstverständlich/wie/Buchenwald, Mauthausen, Theresienstadt.//[…]“
Vielleicht versucht er sich dabei selbst zu schonen, denn die Selbstanklage bleibt farblos und oberflächlich: Die Konzentrationslager können nicht „getilgt“ werden (ist nicht genug vernichtet worden?), die „Schmach“, dramatisch in eine eigene Zeile gesetzt, ist „nie zu löschen“: Schmach? Wer wurde geschmäht und wer schmähte? Soll hier vielleicht eine Opfer-Täter-Relation wenn schon nicht „gelöscht“(!) so doch verwischt werden? Auch das Ende des Gedichts bleibt undeutlich: „[…] Wir hingen Gericht/über Europa,/hingen/den gelben Stern/für immer/mitten ins Angesicht/des Menschen./Wehe dem/der die Hand danach erhebt!“ Die Drohung der beiden letzten Zeilen weicht aufgrund des veränderten Tempus (Gegenwart statt Vergangenheit) vor der Verantwortung aus und rückt die längst geschehene Tat als Möglichkeit in unbestimmte Zukunft, so, als wäre die Entscheidung nicht längst gefallen.
Insofern ist die Lyrik Alois Vogels gerade da aufschlußreich wo sie verschweigt. Sie zeigt Denk- und Verdrängungsmuster, denen auch Menschen, die es gut meinen anheim fallen können, besonders wenn sie so jung wie Alois Vogel mit den Ereignissen konfrontiert wurden.