#Lyrik

Zoon poietikon

Alexandra Bernhardt

// Rezension von Janko Ferk

Der Mensch als dichterisches Wesen – 50 meisterhafte Gedichte von Adler bis Zebra

Alexandra Bernhardt verdient große Wertschätzung — nicht nur als Lyrikerin und Autorin von bislang fünf Lyrikkbänden, sondern auch als Herausgeberin des seit 2020/21 biennal erscheinenden Jahrbuchs österreichischer Lyrik, einer sorgfältig edierten Anthologie, die zeitgenössischen Lyrikerinnen und Lyrikern, auch einem breiten Publikum weniger bekannten, regelmäßig eine Publikationsmöglichkeit bietet.
Ihrem aktuellen Gedichtband Zoon poietikon — vielleicht eine Anspielung auf den auf Aristoteles zurückgehenden Begriff vom Menschen als „zoon politikon“ — hat sie zwei besonders treffende Motti vorangestellt: „Der Mensch ist ein zweibeiniges Tier ohne Federn“ (Platon) und „Staaten zerfallen, Künste schwinden – Natur aber vergeht nicht“ (Lord Byron).

 

In diesem Sinn verstehe ich Bernhardts Tierleben-Lyrik, die neben der Gazelle, dem Springbock und dem Zebra noch weitere siebenundvierzig Tiere – in alphabetischer Anordnung – einschließt. Nach einem — in Idee und Inhalt — vergleichbaren Band wird man in der deutschsprachigen Literatur suchen müssen. Alexandra Bernhardts Gedichtband ist originär. Sie selbst hat bereits im Jahr 2020 den Tiergedichtband Weiße Salamander (edition offenes feld) veröffentlicht.

Fast entsteht beim Lesen der Anschein, die Dichterin spare ihre Persönlichkeit aus. Doch keines der Gedichte könnte ohne ihre Erfahrungen geschrieben worden sein, auch nicht das titelassoziierende und -gebende Zoon poietikon:

„Der Mensch
ein Tier
gemacht
dem Wort
gesponnen
aus dem
Widersinn
gedacht
der Sprache
machtvoll
Fleisch“ (S. 7).

Der Angel- und Drehpunkt des Bands ist der Mensch als schöpferisches Wesen, als „dichtendes Tier“. Die Tierportraits, in denen das jeweils vorgestellte Tier mit einem Nähe und Vertrautheit evozierenden „du“ angesprochen wird, spiegeln die menschliche Erlebniswelt und das Geprägtwerden wider. Die Symbolik ist mehrdeutig. Bernhards Sprachbilder, verdichten sich in der Gesamtheit zur einer lyrischen Erzählung über Kunst und Natur – über Mensch und Tier, kurzum: über die Welt. Alexandra Bernhardt studierte Gräzistik und Orientalistik, Komparatistik und Philosophie, was mitunter in den Versen anklingt.

Dem Axolotl widmet die Dichterin ein besonders ausdrucksvolles Gedicht, in dem aus weiter Ferne in der zweiten Hälfte kurz Paul Celan anklingen darf: „Freilich/ kauerst du/ in der Ferne der/ Höhlen die offenen/ Margen sind nicht/ dein Revier du/ trinkst das Dunkel/ wie andere Licht/ deine Augen/ sind trockene/ Seen“. „du/ trinkst das Dunkel/ wie andere Licht“ (S. 17).

ein Traum bist du / in Luft gedacht“ (S. 33) über die Fähe (Füchsin). Oder „Aus / der Deckung / aufgeflogen nicht / verkrochen : gespreizt / und gefiedert so / flügelst du Licht / so treibst du aus /deine Farben / sprenkelst / den Rain“ (S. 37) Man könnte es nicht schöner beschreiben, wie sich der Fasan der Natur anpasst als mit diesen Versen. Wer auf der Welt einmal ein solches Bild in natura gesehen hat, vergisst es nicht.

Die Gottesanbeterin wirkt durch Form und Wortwahl wie ein unverkitschtes Holzschnittgedicht. Das Pfau-Gedicht könnte man historisch-politisch interpretieren, wenn man den Kontext versteht: „Beraubt/ seines Thrones“ (S. 75). Auf einem mit Blattgold und Edelsteinen verzierten und „Pfauenthron“ genannten Thronsessel saß weiland der persische Schah — ein geglücktes Bild, wenn es gewollt ist.

Besonders poetisch ist das RehGedicht: „Das/ scheut sich/ nicht im Regen/ zu grasen zu/ suchen die Spreu/ zu äsen die/ Jungen im/ Zaum“ (S. 83). Reiner Kunze hätte es nicht dichter komponieren können.

Die Gedichte bestehen immer aus einer Strophe, die Verse sind kurzzeilig und freirhythmisch geschrieben. Der Sprachfundus ist – gemessen am komprimierten Inhalt – sehr groß, er rettet das eine und andere (poetische) Wort vor dem Vergessen, das so zum magischen Anker mitten im Gedicht oder Vers wird. Die Sprache ist – durch die gekonnte Reduktion – intensiv und manchmal in Sprachfetzen zerlegt, die man mit Nachdenken oder Phantasie zurechtfügen kann. Tatsächlich nacherzählen kann man die Tiergedichte freilich nicht.

Alexandra Bernhards Zoon poietikon ist starke österreichische Lyrik — leicht, manchmal sogar unbeschwert, aber keineswegs gewichtlos.


Janko Ferk
arbeitet und lebt in Klagenfurt und Graz. An der Universität Wien studierte er Rechtswissenschaften, Deutsche Philologie sowie Geschichte und promovierte mit einer Arbeit über die Rechtsphilosophie bei Franz Kafka. Er ist Jurist, Honorarprofessor an der Universität Klagenfurt/Univerza v Celovcu und Schriftsteller. Zuletzt veröffentlichte er die Reisemonografie Der Drei-Länder-Weg (Edition Kleine Zeitung, 2024) und die Monografie Peter Handke. Begleitschreiben, Gespräche und Zustimmungen (LIT Verlag, 2024). Er hat mehrere Bücher zur Kafka-Forschung vorgelegt, in denen er eine eigenständige Methode der Auslegung entwickelt hat. Im Juni 2024 wurde er mit dem Ehrenkreuz für Wissenschaft und Kunst ausgezeichnet.

Alexandra Bernhardt Zoon poietikon
Gedichte.
Klagenfurt: Sisyphus Verlag , 2024.
112 Seiten. broschiert.
ISBN 978-3-903125-86-5.

Verlagsseite mit Informationen zu Buch und Autorin

Rezension vom 09.12.2024

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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