In Forsthaus kommen aus der Sicht des ehemaligen Kindes die diversen Eisblumen der Seelenkälte penetrant zum Vorschein. Ein ehemaliges Kind erinnert sich. Aus der Distanz wischen Erinnerungsschwaden über die vergangene Landschaft.
Irgendwo im Waldviertel, wo die Nächte noch dunkel sind, entwickeln die Gegenstände ein seltsames Eigenleben. Gleichzeitig ist die Beobachtung von Dingen verboten, wer beschreibt, ist bald einmal abgeschrieben. So muß man sich immer kurz fassen. Schon im ersten Satz jeder Geschichte muß man damit rechnen, daß sie einem von einer geheimnisvollen Macht ausgetrieben wird. So bleibt nur ein kurzer, atemloser Stil. Jedes Wort muß sitzen, sonst könnte man schon den Faden der Geschichte verloren haben.
Während das Leben wie aufgeschlichtetes Brennholz auf die Zeit des Frostes wartet, wird die Kinderseele selbständig. Die erste Berührung eines Mädchens ist tatsächlich eine hohe Gefahr, weil das Herz aus Zunder besteht. Und plötzlich ist die Kindheit zu Ende, die Landschaft wird x-beliebig, man trägt Krawatte zum Begräbnis und ist geschlechtsreif.
Wie ein Steinmetz bedrängt Peter Reutterer den Granit der Erinnerung, damit daraus ein paar handfeste Stücke werden.
Ein Lokalaugenschein tritt immer dann auf den Plan, wenn bereits etwas geschehen ist. Gleichsam im zweiten Versuch, dem Lokalaugenschein, versucht sich die Behörde vor Ort einen möglichst authentischen Abdruck der Wirklichkeit zu verschaffen.
Peter Reutterer führt in seinem Prosaband fünfundreißig Lokalaugenscheine durch, die er penibel mit Datums- oder Ortsangaben einer höheren Ordnung zuführt. Er selbst ist nämlich Begutachter, Beobachter, Behörde und Sachverständiger in einem. Somit ist gewährleistet, daß die Lokalaugenscheine immer klaglos über die Bühne gehen.
Allerdings ist die „erzählende Eigenbehörde“ nicht immer objektiv. So kann es geschehen, daß Augenblicke der Liebe das Herz des Betroffenen rasend machen, daß in unguten Momenten die Geschichte der Kindheit die Gegenwart überlagert, oder daß ein Tangotänzer tatsächlich sich in Musik auflöst.
Überhaupt stellt sich bei jedem Lokalaugenschein die Frage, welchem Zweck oder Gegenstand er gewidmet ist. Wie Zeugen, die sich an alles und nichts gleichzeitig erinnern können, schwappen Eindrücke, Ideen, Vorschläge und Behauptungen durch die Luft. Ununterbrochen werden Sachverhalte fixiert, aber unter dem Firnis der Beobachtung beginnen sie bereits wieder zu zerfließen, so daß am Ende nur die Schlieren der Ungewißheit dokumentiert sind.
Peter Reutterers Lokalaugenscheine sind Bestandsaufnahmen von flüchtigen Dingen und Begebenheiten, die sich nach ihrer Manifestation beim Leser auch schon wieder auflösen. Mit ihrer verblüffenden Paradoxie gleichen diese kompakten Texte manchmal buddhistischen Koans, und dementsprechend bewähren sie sich auch im Alltag, wenn sie der Leser dosiert einsetzt.